Januar 2005


Einkaufszettel

[Diesen Zettel habe ich heute auf dem Spaziergang gefunden. Brändi ist Alkohol.]

Zehn Monate lang ziehen die smarten McKinsey-Berater durch das Hauptquartier des orangen Riesen in Zürich. Sie wissen zu straffen, zu streichen, verstehen sich aufs Outsourcen, bringen Benchmarks mit, erledigen für den Oberboss Anton Scherrer das Grobe. Ihre Notizen machen sie nicht auf einem Fressfötzel, wie unsereins, nein, sie schreiben auf gelbliche Einheitsblöcke, blau liniert, faxen die Notizen abends nach Indien, wo billige Spezialistinnen flugs die Exceltabellen erstellen, mit denen der mckinseysche Clan am nächsten Tag „durch die Korridore tigert.“

Falls ihr kein WOZ-Abo zu Weihnachten bekommen habt, liebe Migros Kundinnen und Kunden, könnt ihr den aufschlussreichen Artikel von Marc Badertscher hier lesen.

McKinsey im Betrieb sei der Anfang vom Ende, meint mein Schwiegersohn, der sich in Wirtschaftsfragen auskennt. King Scherrer, (nebenbei auch noch der Erfinder der Mutterschaftsversicherung), ist da anderer Meinung. 6 Mio Franken lässt man sich ein solches Konzern-Lifting kosten. Das Feintuning ist dann nur noch eine Bagatelle. Was sind schon 200 abgebaute Stellen bei einem so grosszügigen Sozialplan?
Sind die Mitarbeiter genug verunsichert, so dass einer dem anderen nicht mehr traut, alle um den Arbeitsplatz bangen, haben sämtliche Chef und Chefinnen der Welt ein leichtes Spiel. Beim nächsten Mal spielen sie noch besser.
Die Migros wurde von einem Unangepassten gegründet, der die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für seine Ideen zu begeistern verstand und deren Wohlergehen für ihn wichtig war. Gottlieb Duttweiler gelang es, etwas Einzigartiges zu schaffen.
Dreht er sich manchmal im Grab herum, wenn seine Nachfolger sich so überzeugt in den Mainstream stürzen?

In den Ästen der alten Bäumen habe ich heute zehn Saatkrähennester gezählt, richtige Horste, schwebend über der Strasse und den Bahngeleisen. Auf den Trottoirs liegt noch Schmierseifenschnee. Aber bald kommt der Frühling und mit ihm der lästige Lärm und Schmutz dieser Vögel und ihrer Brut. Mann hat alles versucht, wenigstens in den Berner-Bäumen Ruhe zu schaffen, hat Drähte gespannt, Plastikkegel über die Nester gestülpt oder sie zerstört, hat Plastikbretter auf die Landeflächen montiert, die Bäume stark beschnitten, sogar gefällt. Hier, an der Laupenstrasse findet man sie jedenfalls noch, und es kann durchaus sein, dass der Bär seinen Wackelplatz im Wappen nicht halten kann und stattdessen die schlaue und gefrässige Saatkrähe …

Im lieblichen Gürbetal hat mann gestern an einem besonders lauschigen Plätzchen Gülle ausgeführt und darin in sauberen Abständen eine Handvoll Maiskörner ausgelegt. Hübsch sieht das aus und ordentlich. Schon liegen einige tote Vögel auf dem Feld. Nicht in der Jauche. Wenn sie daraus ein Korn gefressen haben, schaffen sie noch einige Flügelschläge in den sauberen Schnee. Die Bise bläst in das blauschwarze Gefieder, bis der Mann mit der Plastiktüte die Krähe einsammelt.
2-4 Tausend sollen es werden, sonst sind die Bauern nicht zufrieden. Auch sie haben alles versucht, bevor diese Massnahme ergriffen wurde: Vogelscheuchen aufgestellt, Bänder gespannt, Ballone angebunden, Böller krachen lassen. (Das gefiel den sich im Nahen Erholenden nicht.) Der Landwirt Paul Messerli aus Kirchdorf spricht von grossen Schäden in der Landwirtschaft. Die Rabenkrähe hackt z.B. Löcher in den weichen Plastik der Siloballen. Das Heu, welches sie dann daraus verzehrt, sei nicht der Rede wert, hat Landwirt Messerli zwar versichert, aber die Regierung muss etwas tun für die Bauern, und das Tränendrüsendrück-Gewäsch aus der Vogelwarte Sempach und der Sozialdemokratischen Partei gibt ihm seine Ernte nicht wieder:
die Maiskolben, die Kabisköpfe fürs berühmte Sauerkraut, den Salat …
Herr M. hält gar nichts davon, es den Nepalesen und Indern gleich zu tun und mit der Familie so lange auf den angesäten Feldern zu campieren, bis die Schösslinge gross genug sind, allein gelassen zu werden.
Die Flinte ist auch keine Lösung, denn Krähen sind schwer zu treffen. Sie kennen nicht nur Vogelscheuchen, sondern auch ihren Jäger (und sein Auto) – schnell.

Der Bub aus Sri Lanka kann es nicht lassen, den Schweizer auszulachen und mit „Fisch“ anzusprechen, obwohl er es im Elterngespräch versprochen hatte. Vor dem Mittag war das Fass voll:
Was fällt dir ein, unsere Abmachung jede Lektion zu brechen? Konzentriere dich auf deine Aufgaben, anstatt den Unterricht für deine fiesen Spielchen zu missbrauchen. Denk an das Unglück in Sri Lanka, an die vielen Menschen, die alles verloren haben und du machst hier deine eigenen Kollegen fertig? Haben wir nicht genug Leid auf der Welt? Jetzt ist Schluss damit. JETZT! Ich wünsche dem kleinen blonden Schweizer, dass er Leuten wie dir, die das nicht begreifen, die kalte Schulter zeigt. Aber was tut er? Er hilft dir wieder und wieder. Wenn du ihn brauchst, ist er da, schlägt nie zurück und begleitet dich auf dem Heimweg.

Da stand er auf, schmiss seine Farbschachtel auf den Boden, schlug auf den Tisch, schrie mich an, dass mein Gesicht ganz nass wurde, schubste mich, hob die Faust und drohte wiederholend: Ich brech dir alle Knochen du Schlampe… Da wurde ich ganz gemütlich und wandte die Technik des Rollentauschens an. Nachdem ich ihn beruhigt und ihm die Konsequenzen mitgeteilt hatte, wollte er am Nachmittag trotzdem mit auf den Gurten kommen. Das war sicher eine Perle. Aber die eigentliche Perle war die Türkin, die mich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die ganze Klasse seit unserem Macht-Kampf zu dem Schweizer stünde, ihn beschützen wolle und niemand ihn je wieder Fisch rufen würde.

Ich bin müde.

Albert hört gerne die Verkehrsmeldungen. Heute, mit fast 89 Jahren, macht er seine Reisen nur noch im Kopf, sieht man von den vorsichtigen Fahrten ab, die er jeden Samstag vom Hof ins Dorf unternimmt. „Lukmanier gesperrt“ löst bei ihm ein verhaltenes Lachen aus. Ha, der Lukmanier …
Während der 2. Mobilmachung 1940 wurde der Bauernsohn mit einigen anderen Landbernern in den Kanton Tessin nach Malvaglia verlegt. Als sie am Ort ankamen, stand bereits eine Panzeratrappe auf dem Platz. Obenauf sass einer, der funkte wichtig in der Gegend herum, es war der Krebs vom Rütteli. Dieser hatte den Posten wahrscheinlich bekommen, weil er mit dem Traktor ähnlichen Motor der Atrappe umzugehen wusste.
Obwohl Albert und seine Kameraden eigentlich der Kavallerie angehörten, wurden ihnen bei der Ankunft nur alte Drahtesel zugeteilt. Dann hiess es:
„Ab, auf den Lukmanier, zur Beobachtung“.
Mein Vater kramt nun auch in seinen Erinnerungen, erzählt, dass das Aufgebot ins Militär für die Bauernsöhne ein willkommener Anlass war, heraus zu kommen und etwas Neues zu sehen. Im Gegensatz zu Albert wurde der junge Bauer „nur“ nach Burgdorf, wenig Kilometer von seinem Hof entfernt, zur sogenannten Spahi-Wache beordert. Was er da vom Krieg zu sehen bekam, war für den „Rösseler“ grauenhaft. Eisenbahnwagen, beladen mit Pferden, alle Tiere in schlechtem Zustand davon viele bereits tot, verhungert, mussten ausgeladen werden. Dazu gehörte ein Teil der 12000 polnischen Soldaten, die sich von Frankreich her über die Grenze in die Schweiz abgesetzt hatten und nun in Internierungslager unter gebracht werden mussten.
Ich merke, dass Vater mehr den verhungerten Pferden nach trauert, als den Polen, die auch ziemlich fertig gewesen sein mussten, so ohne Waffen in einem fremden Land.
Die Spahis, nein, die mussten sich keine Sorgen machen, die Burgdorferinnen kamen mit Kindskörben voller Chram und Schokolade zum Bahnhof, wollten die Fremden fast zu Tode füttern, waren völlig vernarrt in sie. Kaum ein polnischer Internierter, der auf der Pritsche übernachten musste. Der Nüchternste schaffte es ins beste Bett. Albert kann das bezeugen. Überall, wo diese Polen hin kamen, wurden die Frauen zu Närrinnen, hatten kaum mehr Augen für die Schweizer. Das machte diese böse und verzweifelt. Sie fragten die uralte Frage: „Was haben die, was wir nicht haben?“ Die Frauen hatten eine Antwort darauf. Albert weiss sie, will sie aber „ums Verroden“ nicht preis geben – nicht an diesem Tisch.
Es gibt ein Foto von meiner Mutter. Jung, lächelnd steht sie auf einer abgemähten Wiese, umringt von braungebrannten polnischen Internierten, die bei der Ernte helfen. Sie kann über diese Spahi-Weiberhelden bis heute nur Gutes sagen: freundlich, lustig, hilfsbereit und fleissig waren sie, sahen sofort, dass da schon einer war, der ein Auge auf die junge Frau geworfen hatte – mein Vater.

Wie der Begriff „Spahi“, den ich bis gestern noch nie gehört hatte, von Persien bis zu uns ins Bernerland gekommen ist, weiss ich nicht.
Wahrscheinlich mit den Handelsleuten über den Lukmanier … ?

(mehr …)

Im Bildungskonzept für Berner Schulen lese ich, dass die Kinder aus Familien mit Büchergestellen die besseren Bildungschancen haben.
Das Kind I. hat Zugang zu ca. 200 Laufmetern Bücher im privaten Bereich, öffentliche Bibliotheken werden von ihm rege benutzt. Auch seine Eltern verhalten sich konzeptkonform: Sie zügeln nicht weg, so wie’s die Bildungsdirektorin in der Zeitung empfohlen hat, sind mit der Integrationsbeauftragten der Stadt einer Meinung, dass das Wohnen in einem „Ausländerquartier“ fürs Leben schult, beteiligen sich an der Quartierarbeit, haben ein offenes Haus und Ohr. Das Kind hat die besten Vorbilder in Sachen Toleranz und Respekt, denn es ist die 4. Generation einer Familie, die sich das friedliche Zusammenleben auf ihre Fahne geschrieben hat. Wer jetzt denkt: welch glückliches Kind, irrt sich. Seit Monaten wird es von einigen Mitschülern in der Garderobe mit nassen Tüchern geschlagen, gewürgt, bespuckt, zu Boden geworfen und getreten, beschimpft und mit „I bringe di um“ ständig bedroht, seine Kleider und Schulsachen werden in den Abfall geworfen. Als es am Dreikönigstag König wurde, setzte dies besonders gemeine Prügel ab. Der Schulweg ist ein Leidensweg. Gespräche mit den Schülern brachten nur noch mehr Gewalt. Die Lehrerin findet, die Eltern mischten sich zu sehr ein, das Kind provoziere mit seinen „Fremdwörtern“.
I. , bald 10 Jahre alt, versucht Aufsätze zu schreiben, die dem Niveau der Klasse entsprechen, nimmt beim Bibliotheksbesuch mit der Klasse Kinderbücher. Er müsse sie nicht lesen, meint die Lehrerin, die weiss, dass das Kind schon weiter ist. Nur nicht auffallen! Soll das Kind seine Gitarren- und Flamencostunden aufgeben und stattdessen einen Kampfsport trainieren? Das möchte die Lehrerin auf keinen Fall! Auch der Kickboxtrainer aus dem Bekanntenkreis rät davon ab. Nun ist das Kind ein „Fall“ geworden, der die zum neuen Bildungskonzept gehörende Sozialarbeiterin beschäftigt.
Wir fassen jeden Tag den Mut, die Kinder und ihre Eltern nicht zu hassen, uns ihnen zu zuwenden, sie zu beachten und uns unter ihnen zu Hause zu fühlen.

Sie ist neu und es wird noch einmal drei Neue geben. Denn es gibt Fall um Fall um Fall bis zum Umfall. Neu geschaffene Sozialarbeiterinnen sind gut.

Kinderzeichnungen am Schrank. Den IKEA-Schreibtisch hat sie sicher im letzten Augenblick selber beschaffen müssen dürfen. Den Drucker vielleicht auch selber (anhängen). Und das „Mobbing, nicht mit mir“- Plakat noch rasch an den Spind geklebt, die Zimmerpflanze deponiert. Ja, das Büro ist eingerichtet wie von jemandem, dem man dazu keine Zeit gelassen hat, denn die Fälle warten schon, und 3rd ist auch einer.

3rd zupft mich leise am Ärmel, nickt zu einem kleinen Bildchen über dem Billy und murmelt „vanGogh, haben wir doch auch, wo ist das nun schon wieder?“ „Psst, ein Café in Arles oder Paris oder wo auch immer.“ Bloss nichts wissen, bloss nichts, was überheblich wirken könnte, bloss nichts. Bloss mitlaufen und schweigen, und selbst das ist eine Provokation. Und gibt daraus einen Fall und das ist 3rd jetzt.

„Wir bringen dich um“. Vorsorglich weichen wir deine Hose ein während du turnst, spucken dick in deinen Schulsack und treten dir – aus lieber Gewohnheit – täglich ein paar Mal in den Bauch, beim Gänsemarsch mit der Lehrerin vorneweg abwechselnd in die Kniekehlen, bis die blau sind. Streich deine Fremdwörter aus den Aufsätzen oder wir killen dich, Fall zu Fall. Zufall. Einer bietet sich an. Andorra ist überall.

Aber es gibt schon Menschen, die uns nett finden. Solche mit Schweizer Pass und ohne, mit Doktortitel und mit Stromerkittel, Grossmütter und Kebabverkäufer, Behinderte und Sportler, Alte wie Junge. Und sogar die Sozialarbeiterin, jedenfalls hat sie das glaubwürdig vermittelt. Sie hat den Fall 3rd getestet, einzeln und in der Gruppe und beobachtet auch. Er ist nicht überheblich, er passt sich mit der Sprache an, er hält sich zurück mit Fremdwörtern. Sie sieht einen langen Weg, aber sie sieht einen.

Üben wir. Üben wir Solidarität mit den Söhnen von nebenan. Mit den überlasteten Lehrerinnen, dem Schulleiter, der für jede Situation einen Standardsatz hat. Solidarisieren wir uns mit den Traumata der Welt. Fahren wir ein wenig Lift mit ihnen. Lesen wir mit ihnen.

Rechnen wir mit ihnen.

… heute von von Dr. Robinson Oja aus Nigeria.

Lieber Freund,

ANTRAG FÜR IHRE VORBEHALTLOSE UNTERSTÜTZUNG

Dieser Buchstabe kann zu Ihnen als Überraschung kommen, aber er wurde aus
meinem aufrichtigen Wunsch heraus, ein gegenseitiges Geschäft Verhältnis
mit Ihnen zu teilen getragen. Zuerst wird Ihr strengstes Vertrauen in dieser
Verhandlung in hohem Grade erbeten. Dieses ist aufgrund seiner Natur als
seiend äußerst vertrauliches und oberes Geheimnis.
Ich bin ein oberer Regierungsbeamter mit einer Gesellschaft des öffentlichen
Rechts und Mitglied eines adhoc Ausschusses, der durch die Bundesregierung
von Nigeria aufgestellt wird, um den Vertrag zu wiederholen, der vorbei
hinter Leitung
zugesprochen wird. Im Verlauf des Kennzeichnens, des Srcutinisings
und des Empfehlens für die Zahlung alles rechtsgültigen Vertrages, der durchgeführt
wurde, entdeckten wir eine sehr große Summe Geld an betragend bereits zugesprochenen USD41.5M (vierzig eine Million fünfhundert tausend US Dollar)
grob Überschuß den fakturierten Vertrag und exccuted
für Nigerian National Petroleum Corporation.
Hafen säuberte das ` AUGEAN STABLE`, das wir beabsichtigen, die Balance
von USD41.5M zu bringen, das momentan in unsere Spitze Bank von Nigeria
auf unseren eigenen Nutzen und Vorteil schwimmt. Jedoch verlangen wir für
Ihre standhafte Unterstützung in dieser Hinsicht weil, während Staatsbeamte
wir unter dem Staatsdienstverhaltenskodex Büro vom Laufen lassen eines fremden Kontos oder des Betriebs eine Auslandsgesellschaft es sei denn verboten
werden, nachdem Ruhestand in diesem nichtigen wir Sie für uns konfrontieren
wünscht während der Partner, zum wir zu ermöglichen, die Kapital in Ihr
Konto schnell unterzubringen.

Bedenken Sie, daß keine Gefahr zu diesem Projekt angebracht wird und alle
Logistik im Platz und in Modalitäten sind, die für die glatte Zusammenfassung
innerhalb einer vereinbarten Zeit ausgearbeitet werden. Dieses stimmt mit
der Tatsache überein, daß Sie das Vertrauen nie verraten müssen bereits
ausgeruht auf Ihnen. Wir haben entschieden, Sie mit 30% der Gesamtsumme
für Ihre Unterstützung auszugleichen, 60% für uns während 10% für Verschiedene
Unkosten (lokal und international).

Bitte stellen Sie Ihre vertrauliche Telefon- und Telefaxzahl zur Verfügung,
um mir zu ermöglichen, mit Ihnen für weitere Diskussion auf dieser Angelegenheit
in Verbindung zu treten. Raten Sie bitte in Ihrer Rückholpost, wenn jederzeit
genug vertraulich ist, Sie anzurufen.

Vorwärts schauen zum Hören von Ihnen.

Bester Respekt,

Wer von uns macht dieses Bombengeschäft???

Pokerfaces

1. Chris Bigler, Fislisbach 2. Conny-Lu Käser, Krauchthal 3. John Esposito Calvo, Bümpliz 4. Barbie-Ann Siegenthaler, Wimmis 5. Charles LeBrie, Le Prédame 6. Eduard Sturzenegger, Trimstein 7. Gus Rettenmund, Rüegsau 8. Wegen laufenden Verfahren darf der Name dieses Turnierteilnehmers hier nicht veröffentlicht werden. 9. Yvette Künzi, Guggisberg

.. ist die gelblichweisse Standartfarbe, in welcher die meisten Mietwohnungen und Spitalkorridore gestrichen werden, erklärt mir meine Freundin C. Sie ist als ausgezeichnete Flachmalerin in der Stadt und der Region bekannt, wird von den Kunden und Kundinnen weiter empfohlen. So kam ihr Arbeitgeber, ohne Auslagen für Werbung, einmal mehr zu einem Grossauftrag. Seit Dezember bis Ende April arbeitet sich C. mit Pinsel, Abdeckplane und Farbkübel auf Rädern durch die Gänge des Spitals am Fusse unseres Hausbergs. Die Wände werden mit Glanzdispersion, die Türzargen, d.h. die metallenen Türrahmen, mit einer wässerigen grauen Farbe gestrichen, deren einziger Vorteil es ist, dass sie nicht stinkt. Auf ihr sieht man jeden Handabdruck, der nur schwer zu reinigen ist.
Die Znünipausen könnte meine Freundin im engen Abstellraum des Technischen Dienstes verbringen, wo die Männer ihre Brote essen und in den Zeitung vom Vortag blättern. Stattdessen tigert die Frau in dieser Viertelstunde durch die noch ungestrichenen Gänge von der Geriatrie zur Radiologie an den Laboren vorbei Richtung Chirurgische Klinik, sucht, um etwas Abstand von 90/10 zu bekommen, ein weit entferntes WC auf.
Die Leute sind freundlich und mit der sauberen speditiven Arbeitsweise des weiblichen Malers zufrieden. C. könnte Hausmalerin werden. Das wäre eine sichere Stelle bis zur Pension in 25 Jahren. Mit der Materialschlepperei über Treppen und Gerüste bei jedem Wetter wäre es dann vorbei, denn hier gibt es Lifte. Es gäbe dann aber auch keine Engel-Wolken-Decken in vornehmen Schlafzimmern mehr, die C. unter anderem auf Wunsch besonders gerne und ohne 90/10 malt. Bis Ende April hat sie Zeit auszurechnen, wie oft das ganze Spital in zwei Dutzend Jahren total neu gestrichen werden könnte.
Ich verstehe, dass sie dabei fast verrückt wird.

UPDATE 18.01. SMS von C. an 1st, 18.01., 08:52:13
… habe gerade das aufbahrungsräumli fertig. Die da liegen,meckern nicht über malergestänke.Jetzt geh ich in die kantine.Juhuii.Nachher in die putzräume,die nat.Nicht ausgeräumt sind.Hoffe, du hast einen angenehmen tag.Tschüüss,c

In den nächsten Jahren werden 26 Millionen Menschen arbeitslos, wobei es hauptsächlich Arbeiterinnen in der Textilindustrie treffen wird, dieses Los. Die westlichen Handelsschranken sind gefallen und China, das heisst zu 90% das weibliche, webt, wirkt, schneidert und stickt wie verrückt. Manchmal für nur 1 Euro pro Tag. Natürlich gibt es die Fabriken, gross wie der Vatikan und der Felsendom mit Ausstellungshallen für die westlichen und gut betuchten einheimischen Kunden. Daneben scheint aber jeder, der es sich leisten kann, einige Maschinen ins Wohnzimmer zu stellen um z. B. Socken zu produzieren. Jede dritte westliche Fussbekleidung ist bereits eine Made aus China (frei nach Franz Hohler).

Heute wurden aus dem Portemonnaie von der Kosovarin fünf Franken gestohlen. Sie meint: Das sei nicht die Welt, doch fände sie Klauen mega fies. Sie hätte die fünf Franken dieser Person sogar geschenkt, wenn diese sie darum gebeten hätte. War es jemand aus der Klasse? Können wir einander noch vertrauen?

Die Kosovarin hat ihr Material griffbereit und im Etui sind die Stifte gespitzt. Sie schreibt eine Liebesgeschichte und fordert Ruhe in der Klasse. In der letzten Lektion gibt es einen Wettbewerb. Die Kosovarin macht mit, obwohl auch sie von der langen Woche erschöpft ist und über den Mittag im Volleyball war. Sie gewinnt den ersten und zweiten und dritten Preis, da keine KonkurentInnen angetreten sind. Unaufgefordert erledigt sie ihr Ämtli und wischt auch noch den Boden. Rundherum herrscht Chaos.

Mein einziger Schweizer vergisst für einen kurzen Augenblick die Klasse, obwohl er mitten drin sitzt. Er singt seinen Part zwar viel zu schnell, aber er singt, während dem die anderen bereits aufgegeben haben. So entsteht aus dem Kanon ein Duett, das zwar seiner Aussenseiter-Stellung nicht besonders entgegen kommt, aber er ist sichtlich stolz auf seine Leistung. Seine Zeugnisnote wird durch diesen Einsatz natürlich sofort aufgerundet. Das teile ich der Klasse mit. Morgen ist Notenschluss. So gemein, wenn sie das gewusst hätten, dann hätten sie…

Ich bin ratlos. Wie kann ich meinem blonden Schweizer noch helfen? Es vergeht keine Stunde, in der er nicht beleidigt wird. Schon zweimal in diesem Jahr erlitt seine Brille während der Schulzeit einen Totalschaden. Äusserlich bleibt er cool, aber wer weiss, was diese Plage mit einem Herzen anrichtet?

Der Bosnier tröstet mich: „Erinnern Sie sich, wie wir vor einem halben Jahr mit ihm umgegangen sind? Vor einem Jahr haben wir ihn noch viel schlimmer behandelt und vor zwei Jahren haben wir ihn sogar verprügelt. Seien Sie doch froh, Frau Lehrerin, wir sagen ihm ja schon nicht mehr so oft Fisch.“

Dann mischt sich die Albanerin ein: „Wenn dich der Schweizer in zehn Jahren in den Strassen trifft, wird er nicht mehr so nett zu dir sein wie heute. Er wird dir sagen: Du hast mir in der Schule viel Leid zugefügt, geh mir aus der Sonne, mit dir verliere ich keine Zeit mehr.“

Ja, die Klasse macht Fortschritte im Sozialverhalten, das zwar gerade aus der neuen Beurteilung gestrichen wird. Die Lernenden reflektieren die vergangene Schulzeit, sprechen über die Konsequenzen ihres Verhaltens und nennen sich schon öfter beim Namen.

Heute in der Sonntagspresse gelesen: „[die Asexuellen] .. wollen erreichen, dass die totale Bedürfnislosigkeit als sexuelle Orientierungsform anerkannt wird – neben Hetero-, Homo- und Bisexualität“. Ihr Motto: „Asexualität ist längst nicht mehr nur für Amöben“.

Himmel, die sind ja nicht mehr bei Trost. Ich will also sofort volle Anerkennung für meine spezielle Lebensform der kargen Wohnungseinrichtung. Ich bin amöbel.

Weitere Outings willkommen!

Die Dorftrottel sind ausgestorben, diese Frauen und Männer, meist bei Bauern oder Handwerkern für Unterkunft und Essen in Diensten, oft ausgenutzt, wegen ihren Behinderungen verspottet, geplagt. Trude, Hilfsnäherin bei einem Militärschneider, besuchte uns oft an Schlechtwettersonntagen. Die ganze Familie sass dann in der kleinen Stube, wir Kinder auf dem Trittofen, während Trude uns Gedichte vortrug, die sie mit ausholenden Armbewegungen begleitete. Die „tannigen“ Bretter knarrten unter den schweren Schuhen, wenn sie ihre Schlaufen ging, von der Tür zum Tisch, seitwärts zum Fenster, rückwärts am Buffet vorbei: „Ich bin die Mutter Sonne und trage die Erde bei Nacht, die Erde bei Tage …“ Fasziniert verfolgten wir die Vorführung der jungen Frau in gestricktem Rock und Schürze, ihre Arme, die A, E, I, O, U formten.
Jahre später, bei einer Aufführung des Eurythmie-Ensembles aus Dornach, kam mir Trude wieder in den Sinn und die Sonntage, als wir Bauernkinder unsere Einführung in diese Kunst erhielten.

Nein, danke, keinen Weisswein für mich vor dem Mittagessen, in den leeren Magen! Ein gutes neues Jahr darf man sich nur noch heute, am Dreikönigstag, wünschen, meint eine Fachreferentin, die es wissen muss, da sie eine „Von“ ist und den „Gummäng*“ kennt. Das sei bis Ende des Monats möglich, meint M., ohne dass man etwas Ungutes herbei rede oder gar den Anstand (siehe oben*) nicht wahre. He nu. Der Direktor verliest die Liste der Jubilarinnen und Jubilare. Die Frauen erhalten Blumensträusse, die Männer eine Flasche Wein aus der Münsterkellerei. Es wird gewitzelt, dass nur die Verpackung mit der roten Binde von dort … Ich tröste den Kollegen damit, dass er in diese edle Schachtel das nächste Geschenk für seine Freundin verpacken könne. Nun werde ich, zwar „unverlesen“, zum Strauss gerufen. Küsschen vom Direktor, und schon halte ich ein Blumenschiff aus lachsroten Rosen und Lilien, einigen blauen Vogelbeeren und einer Strähne Flachs in den Armen.
Im Bünzlibeizli, dem Bellevue gegenüber äugen heute keine Journalisten zum Eingang des Hotels (um ja keinen Promi zu verpassen). Es ist ruhig und fast rauchfrei. (Ich hätte gerne ein Zigarettli geraucht, aber siehe *)
Bei Salat und Spaghetti mit Pilz sind wir Bücherfrauen uns einig: Es ist nicht sicher, dass ein neuer Direktor die Apéros so gut kann, wie der „alte“, der sich bald verabschieden wird.
Etwas behindert segle ich später mit aufgestelltem Kragen durch die Lauben, immer darauf bedacht, die Lilien zu schützen.
In unserem Ladenzentrum, der Denner-Weinreklame gegenüber, sind die Beizentische voll besetzt. Ich grüsse, wünsche allen ein Gutes Neues und übergebe mein Jubiläumsbukett Frau P. Seitdem sie arbeitslos ist, es sind schon einige Jahre her, ist sie hier Stammgast. Ich weiss, dass sie studiert hat und mehrere Sprachen spricht. Früher haben wir im Bus, wenn wir beide von der Arbeit nach Hause fuhren, über Bücher diskutiert. Frau P. kannte sich sehr gut aus in der tschechischen Literatur.

Die Schweiz trauert. Die Schweiz spendet. Der Webserver der Glückskette ist seit Stunden überlastet. Die Post verdoppelt die Spenden ihrer Mitarbeiter. Deshalb spenden die Kinder nicht in 3rds Sammlung, sondern lieber in die Sammlung von Kindern, deren Eltern bei der Post arbeiten. War nicht einfach zu erklären, dass nicht wichtig ist, wer das Geld schlussendlich der Glückskette überweist. Kinder wollen ganz einfach erfolgreich sein. Auch beim Spenden sammeln. Soll mir niemand erzählen, die Kids seien antriebsschwach.

UPDATE 12:00 (Schweigeminuten, Kirchenglocken): Die schweizerischste Aktion fand ich folgende:

Seit heute ist unserer Bäckerei-Konditorei, Peter Schmid 5443 Niederrohrdorf ein Tsumanibrot erhältlich. Verkaufspreis SFR 5.– der Erlös wird vollumfänglich der Glückskette überwiesen werden.

UPDATE 12:20: 3rd hat sich durchgerungen und seine Sammlung, die er schwersten Herzens mit dem Weihnachts-Zwanziger des Urgrossvaters gestartet hatte, auch einem Kind mit Post-Mutter gegeben.

Es ist ein heller Tag, die Luft ist klirrend kalt und trocken. Meine Ohren unter dem Velohelm fühlen sich akkupunktiert an. Vor mir fährt eine Familie, grosses Kind, Mutter mit Trailer mit kleinem Kind drauf. Ich hole auf, aber überhole nicht. Denn die erinnern mich an etwas und tun mir furchtbar Leid. Eine ganz normale, aschblonde, etwas unpassend angezogene Schweizer Familie mit bunten Velohelmen auf ganz gewöhnlichen Hinterköpfen.

Der kleine Junge auf dem Trailer redet mit der Mutter indem er dem Fahrtwind entgegenschreit, die Mutter antwortet ebenfalls rufend:

Junge: Gäu, mir göö de uf Italie.
Mutter: Jaaaa.
Junge: Aber uf Theiland chöi mer nie meh.
Mutter: Doch, doch, i-n-es paarne Jahr chöi mer de scho wieder.
Junge: Wär het das gmacht?
Mutter: D‘ Natuur. Die het das gmacht.

Schlagartig weiss ich, an wen sie mich erinnern. An die Fotos der vermissten Schweizer in Thailand.

Im LehrerInnenzimmer wurden zum Jahresanfang Hände geschüttelt und Glückwunschsküsschen verteilt. Einer lächelte freundlich ins Leere und hielt sich verloren an seiner Kaffeetasse. Erst als die Schulleiterin das Wort ergriff und Gott dankte, dass mein junger Lehrerkollege die Flutkatastrophe überlebt hat und nach hause gekommen ist, besannen sich alle. Die Schoggigipfeli wurden stehen gelassen. Gestern sei er von Thailand zurück in die Schweiz geflogen. Ja, er sei im Wasser gewesen, als die Welle kam. Dann sei er einfach gerannt, nur gerannt. Nein, erzählen könne er noch nicht. Er müsse noch verdauen.

Jetzt trägt er einen Bart. Nebensache. Er lebt. Ich finde es henne stark, dass er arbeiten kommt.