Juni 2007


Gerade habe ich den Schlüssel am Ende des grossen Compactus‘ umgedreht, als die Sirene direkt über mir losheult. Verhalte ich mich für das Sicherheitssystem verdächtig? (Frau sollte Schuld nicht immer zuerst bei sich suchen, weiss ich doch.) Ist Feuer ausgebrochen? Dringt Wasser ein? Im Treppenhaus begegne ich einem eiligen Mann mit Funkgerät. „Es brennt!“ sagt er und ist bereits im Keller verschwunden. „Brennt es tatsächlich“, frage ich den nächsten mit Handy am Ohr.
„Ha, ha, sicher nicht – nur Übung. Aber das nächste Mal dann.“
Endlich schweigt die Sirene. Ein Mann in Anzug mit Kravatte kommt ins Archiv, mustert die Tablare und sagt: „Viele rote Bücher hier“ und verschwindet.

Wie so oft, wenn hier wenig steht, ist es weil wir es nicht erleben. Hätten wir nämlich nicht so viel zu tun mit dem Erleben, bliebe mehr Gelegenheit zum Schreiben.

Zum Beispiel News aus der Hauswarts-Familie:

Da wäre der Mann, der sich jeweils vor meiner Schwester verbeugt und ihr noch und noch die Hand küsst „gut Hauswartfrau, Hauswartfrau gut“ murmelt und sie bittet, ihr Mann möge ihn in Ruhe lassen.

Oder die ewige Unwetterei, die Wasser in die Treppenhäuser schickt. Manchmal mehr als ein Hauswart alleine bewältigen kann. Drum muss er dann die Hauswartfrau dazu- und von ihrer Diplomarbeit wegholen.

Oder der blockinterne Rufname von 3rd, female: „Hauswart-Bébé!“

Oder 2nd, male, der sich einfach einmal wie ein normaler anstatt wie ein „bewusster“ Konsument verhalten wollte und deswegen zum Opfer und sogar zum Täter der Globalisierung wurde. Das ging so:

Er bestellte in der Nacht beim Apple-Shop ein ledernes Etui für den iPod, das problemlos in jeden kleinsten Briefumschlag passt. Die Bestellung wurde irgendwo auf der Welt ausgeführt und in die DHL-Umlaufbahn gespeist. Nach etlichen verbrauchten Litern Benzin und vermutlich ein paar plattgefahrenen Seniorinnen landete das Ding morgens um 10:00 vor unserem Block. Komischerweise war niemand da, es wurde ein Zettel hinterlassen.

2nd, male, setzte sich mit der angegebenen Nummer in Verbindung und wurde nach Bonn durchgestellt, wo man ihm versicherte, der Berner Chauffeur würde ihn kontaktieren, um einen neuen Termin zu vereinbaren. Einige Tage später klingelte also das Handy und der Chauffeur war dran um zu sagen, er stehe wieder vor der Blocktür und niemand mache auf. Er bestätigte erneut, dass man das Ding nicht in den Briefkasten werfen könne und 2nd, male, vereinbarte wieder einen neuen Termin mit ihm. Das klappte.

(Das kleine Schwarze auf dem Bild unten ist das Ding, um das es geht. Die Rechung kam separat, eine Bestätigung der Bestellauslösung ebenfalls apart.)

iPod Etui und Verpackung

Bergk�¤se

Allen Befürchtungen zum Trotz hat sich der
hundertjährige Riemenboden aus Tannenbrettern
unter den 78 Tisch-, Stuhl- und Menschenbeinen nur
ein wenig gebogen, als wir heute Vaters Stubentisch
zu voller Länge auszogen, um ihn mit Brot, Züpfe, Kuchen,
Butter, Käse, Schinken, Honig, Konfi, Eiern, Müsli, Saft, Kaffee
und Kirschen zu beladen für ein Vor-Geburtstags-Frühstück mit
Töchtern, Enkelinnen, „Schwiegersöhnen“ , Urenkel und Urenkelin.

Grünzeug

Damit mache ich Vater eine Freude: Zeitung, Salat, Ruchbrot, Lattich, Bananen, Apfeltasche, Schnecke, Petunie und das Album mit den Hochzeitsfotos seiner Enkelin Cornelia. Der Kaffee ist für mich.

Seit Monaten verpasse ich den montäglichen Verkauf der Jetons zum betriebseigenen Kaffeeautomaten. Ich trinke dann, wenn auch widerwillig, einen Hagebuttentee, welcher gratis ist. Meine Freundin Marwa findet, dass ich darob trübsinnig würde und schenkt mir immer wieder einen Jeton aus ihrem nie versiegenden Vorrat.
Danke 1000!
Heute sitze ich wieder einmal vor einer Tasse mit dem roten Wasser, schaue über die Taubendrähte zum Fenster des Bordells im Haus gegenüber. Die Vorhänge sind zugezogen. Eine der Frauen hat ihr rotes Kuschelherz mit Armen auf den Sims gelegt. Durch das offene Dachbodenfenster sieht man auf eine Wäscheleine, an welcher Handtücher hängen – Tristesse pur!

Was haben folgende Käffer gemeinsam?

Auswil, Bangerten, Belprahon, Berken, Court, Crémines, Därstetten, Dürrenroth, Farnern, Gelterfinngen, Guggisberg, Kandergrund, Kirchthurnen, Isleltwald, Leimiswil, Röthenbach, Rüti bei Riggisberg, Saules, Scheunen, Scheuren, Sorvilier, Untersteckholz, Walliswil-Bipp, Wiggiswil und Deisswil und Wyssachen.

Also, eines Tages – das war im Januar gewesen – sei der Chef gekommen und habe gesagt, auf den Ersten Ersten des kommenden Jahres werde umsgestellt. Auf den Computer.

Er selber habe noch so gemurmelt, das sei doch nicht dem sein Ernst, aber das war es dann eben schon. Wer nicht wolle, könne gehen. Wer aber wolle, bekomme alle Bildung, die dazu nötig sei.

Jawohl, das sei dann auch wieder das Gute gewesen an der Insel. Zwar war man ganz unten, aber der Chef, der vergass einen nicht. Kein Weihnachtsessen und keine Bildung in der Insel habe je ohne die Magaziner stattgefunden. Das wiederum sei keine Selbstverständlichkeit, viele hätten noch kurz vor der Pensionierung umstellen müssen auf den Computer ohne dass denen jemand geholfen hätte. Kein Wunder, wenn sie dann nicht zSchlag gekommen seien mit der Maschine.

Also man habe ja immer schon mit Maschinen gearbeitet, das war ja nichts Ungewöhnliches. So mancher habe sich schnell auf noch viel grösser Maschinen einstellen müssen. Aber dann sei es eben für zwanzig Jahre gewesen, unter zwanzig Jahren habe sich ja keine Maschine amortisiert. Aber der Computer! Der sei vielleicht schon nach zwei Jahren ein anderer geworden. Jedenfalls habe er die Umstellung mitgemacht und es nie bereut. Im Gegenteil, er habe gesehen, dass das nicht stimme mit dem Hänschen. Was in ein altes Hirn noch alles reinbringe, das habe ihn schon erstaunt.

Nun, diesen Nachmittag sei er auf der Nationalbibliothek gewesen, mit der Seniorengruppe. Und da sei ja mit den Magazinern genau das Gleiche passiert wie in der Insel. Aber eben, jetzt sei das ja auch alles in den Computern und man habe sich daran gewöhnt. Es sei schon gäbig, wie schnell man jetzt die alten Vereinsblättli finde. Aber es sei noch nicht ein jedes aufgenommen. Das ginge wesentlich länger als bei den Medikamenten und Schürzen und Tassen und Schläuchen in der Insel, das sei ja kein Vergleich. Jetzt müssten die noch anbauen. Ja, ja, wer denke, der Magazinerberuf sei keine Herausforderung, der trumpiere sich.

(Erfahren am 14. Juni 2007 im Treppenhaus.)

Nach und nach lernen wir, wie eine Ringlinie funktioniert: es gibt keine Haltestelle in der Gegenrichtung!
Umfallen können wir nicht, auch wenn der Bus sich ruckweise, eingequetscht zwischen dem Privatverkehr, um fremde Hausecken schiebt. Die Rentnerin neben mir schimpft über die Mütter, welche sich während der „Stosszeiten“ trauen, mit Kinderwagen einzusteigen. So etwas sei früher verboten gewesen. „Sie waren wahrscheinlich nicht berufstätig,“ wird sie von ihrer Sitznachbarin unterbrochen. Nun ist die Stimmung im übervoll besetzten Ringbus wieder bestens. Die Passagiere beraten einander gegenseitig, wie dieser oder jener Ort am besten zu erreichen sei, nachdem die Innenstadt wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Das Ungewohnte bringt die Leute zusammen, führt zu kurzen Gesprächen zwischen den Haltestellen. Auch die FahrzeuglenkerInnen, sonst immer hinter ihrer Glasscheibe versteckt, sind erstaunlicherweise viel weniger griesgrämig als beim normalen Betrieb. Könnte es sein, dass es ihnen gut tut, nach vielen Jahren einmal eine andere Strecke zu fahren, den Passagieren wieder Auskunft zu geben, von ihnen gegrüsst und verabschiedet zu werden, ein „Danke“ zu hören?
Auch die HelferInnen von Bern Mobil an den Umsteigestellen tun ihr Bestes und bleiben freundlich, wenn sich die Leute über das Gschtungg und Gmoscht, den Lärm und den Dreck beschweren.
Die Info-Frau an meiner Haltestelle, am Montag noch unsicher und schüchtern, ist kaum wieder zu erkennen. Sicher und bestimmt managt sie die Schar der Fahrgäste und lenkt sie zu den richtigen Bussen.

Urgrossmutters Zaine

Heute …

chosle

wächst alles …

Feuerlilien

… oder läuft sie schon?

Ich habe Kleinsmädchen schon so lange nicht mehr gesehen, dass ich Fotos von ihr gucken muss. Ja, ja, die Arbeitswelt frisst einem die Nichten-Entwicklung vor der Nase weg.

Kleinsmaedchen im April

In letzter Zeit bin ich öfter der Meinung, dass in unsere Quartier viel mehr gute Menschen leben als in anderen Quartieren. 2nd, male findet es schon fast bedenklich. Aber ich kann ihn trösten, das sind bloss Phasen.

Zum Beispiel letzte Woche. Da hatten wir Vereinsversammlung. Die Bauführerin haben wir zum Referat eingeladen und sie ist gekommen. Ein alter Mann hat sich nach dem verletzten Arbeiter erkundigt, dessen Schreie er über den Balkon hinein gehört habe. Ja, der sei vom Spital wieder daheim, man habe Kontakt, antwortete die Bauführerin. Das Sägeblatt sei abgesprengt und ihm direkt ins Bein, aber dieses hätte gerettet werden können.

Vier Mal operiert sei er, rief die Frau aus dem Quartierkaffee, sie unterhalte sich regelmässig mit seinen Kollegen über den Fall. Es sei hart, aber nicht hoffnungslos.

Ein anderer bedankte sich bei einem Vorstandsmitglied, das in der Nacht eine riesige, neue Scheibe eigenhändig geputzt habe. Die Scheibe war im Zuge des Umbaus bei einem Durchgang eingesetzt, aber von den Monteuren mit Leimspuren und „Tapen“ hinterlassen worden. Er könne das ja versuchen, die guten Taten im Geheimen zu machen, aber verdankt werde er trotzdem. Das müsse sein.

Der Vereinspräsident teilte der Bauführerin entschlossen mit, dass ein Baubeginn um 4.30 Uhr nicht drin liege, selbst wenn es darum gehe, einen Tag Spezialkranmiete einzusparen. Bei uns seien schliesslich über 2000 Leute vom Lärm betroffen. Sie entschuldigte sich in aller Form und auch noch schriftlich. Sehr, sehr nett.

Dieses Wochenende wurde ich fast wieder von meinem Philo-Quartierismus geheilt. Gestern am Nachmittag tropfte es mir beim Staubsaugen auf den Kopf. Es regnet nun schon eine Weile und immer, wenn sich auf dem Flachdach Pfützen bilden, wird es bei uns feucht bis nass. (Bitte, bitte, bitte nicht den Witz! Ich kenne ihn, ich höre ihn seit Jahren von Nachbarn, Vermietern, Dachdeckern, Sanitärs, Malern. Danke.)

In der Nacht hörte ich bis 3.30 Uhr die Rockmusik des Oberbars und Dachbewohners. Aus den Achtzigern, nicht unerträglich, aber doch sehr laut. Wahrscheinlich bahnte sich der Ton den Weg mit dem Wasser zusammen durch sämtliche Rinnstellen. Schlafen war irgendwie schwierig.

Und heute hatten die Spanier den ganzen lieben langen Sonntag ihr Jahrestreffen. Sämtliche spanischen Klubs von Bern machen jeweils im Juni zusammen eine Fete in unserem grossen Gemeinschaftszentrum. Der leicht angetrunkene, falsche Schunkelsound ist ohrenbetäubend, die Galizier mit ihren Hüpftänzen lassen die Erde beben und die Falmencogruppen nicht minder. Ich habe dieses Fest jahrelang hautnah miterlebt, weil ich ja selber Mitglied eines spanischen Clubs war, da 3rd dort fünf Jahre lang Flamenco tanzen lernte. Wir haben sicher an die fünfzig Auftritte zu solchen Anlässen in der ganzen Schweiz absolviert.

Und heute haben wir dann darüber sinniert, ob es uns nun wehmütig stimme, den Anlass nur noch von Aussen mitzubekommen? Die schön gekeideten Flamencogruppen die Treppen hinunter steigen zu sehen, während 3rds Falmencohose ungebraucht über dem Bügel hängt und sein Hut verstaubt? 3rd fand, dass eher nein, er hätte seinen Auftritt von 17.00 Uhr ohnehin erst um 23.00 Uhr gehabt. 2nd, male hat sich aus Angst vor Gehörschaden schon immer überwinden müssen, an solchen Anlässen die Stellung zu halten. Und ich habe völlig bei meiner eigenen Integration versagt. Weder die Sprache, noch die Anlässe, noch die netten und wohlwollenden Menschen konnten mich je dazu bringen, den Klub oder eine seiner zahlreichen Veranstaltungen auch nur ein einziges Mal freiwillig zu besuchen. Ich schätzte die Flamenco-Lehrerin ausserordentlich und möchte keine der Tanzstunden für 3rd missen, aber dazu gehören? Unmöglich. Keiner meiner Anläufe hat sich gelohnt. Es brauchte mich dort schlicht und einfach nicht.

Aber das sagen die Integrations-Verweigerer immer.

Das Essen kann à la carte Vorort bestellt werden …

Wieder einmal werde ich zu einer Klassenzusammenkunft eingeladen. Diesmal an einem Samstag und ohne Predigt in der Dorfkirche. Solche Anlässe sind mir ein Gräuel, aber anscheinend signalisiere ich diese Abneigung überhaupt nicht, denn nur so kann ich es mir erklären, dass ich für den 1. September zu dem Klassentreffen einer Schule eingeladen bin, die ich nie besucht habe!