Juli 2007


Südlich von Montélimar sind die Franzosen faul, richtige Faulenzer, die nichts können ausser Geld zählen und Sonne und Meer verkaufen. Wenn er „nichts“ sagt, dann meint er mehr als nichts, „zéro, zéro“.

Joseph, „Gärtner-Elektriker-Mauerer-Schreiner-Monteur“ auf dem Campingplatz, formt mit Daumen und Zeigefingern zwei Nullen. Diese Faulpelze wollen sich in drei Monaten ein gutes Leben für ein ganzes Jahr verdienen. Sie fahren deutsche Autos, weil ihnen die einheimischen Erzeugnisse nicht gut genug sind und scheuen jede Arbeit wie der Teufel das Weihwasser. Deswegen stellen sie die Landsleute von nördlich von Montélimar an. Ohne diese Frauen und Männer – ja, oft ganze Famlien samt Grossmüttern – würde der Tourismus hier zusammenbrechen.

Und ohne den Tourismus wären die Südfranzosen aufgeschmissen, weil sie nichts können, weder backen noch kochen und auch sonst kein Handwerk. Nimm ihnen die Gastarbeiter und Nordfranzosen weg und sie werden verhungern oder schneller noch verdursten. Aber so lange die Nachfrage nach Sonne und Meer besteht, müssen sie halt selber niemals einen Finger rühren.

„Aber die Pferde- und Stierzucht, die können sie doch?“ wende ich ein. „Nein, auch davon verstehen sie nichts,“ ein Touristenmärchen sei das, meint Joseph.

Joseph weiss, was Arbeit ist. Als eines von zehn Kindern einer lothringischen Familie stieg er mit sechzehn Jahren erstmals in die Grube, kam dann als Holzfäller und Bauarbeiter Richtung Süden. Nun arbeitet er seit sieben Jahre auf dem Campingplatz für 1500 Euro im Monat. In der Hochsaison hat er 12-15 Stunden täglich zu tun, aber im Winter ist es ein Halbtagsjob. Er hat keine Frau, ist ein freier Vogel, aber sicher nicht vom anderen Ufer – Gott bewahre! Der Bordellbesuch ist budgetiert, immer 200 Euro, das klappt einwandfrei, und niemanden muss er anrufen oder gar anlügen. Das Leben ist schön!

Nun macht er das noch zwei Jahre bis zur Pension, dann kauft er sich einen Camper. Sein restliches Leben will er an warmen Orten verbringen, nie mehr zurück in die Grube, sondern „immer der Sonne nach“.

Wir haben auch Ferien von den grossen Zeitungen. Die Weltpolitik kommt hier höchtens als Spot vor. Wir sind eingetaucht in die Region der Kleinstereingnisse, in Nîmes, Uzès und Camargue.

Am 11. Juli im „Midi Libre“:

In Aubais haben Arnaund und Amandine ein Tierheim eröffnet. Die „Pachas à quatre pattes“ ruhen sich auf kleinen Bettchen und in winzigen Iglu-Zeltchen aus, werden von den Pflegeeltern gehätschelt und nach allen Regeln der Kunst von Flöhen und Langeweile verschont.

In Nîmes demonstrieren die Schülerinnen des Lycée Daudet gegen die Ausschaffung von Dhiego Teles Da Silva nach Brasilien. Gegen Mittag fällt ein Hund in den Kanal. Ein Spaziergänger wirft sich sogleich („aussitôt jeté à l’eau“) ins Wasser, um ihn zu retten. Hund kommt ohne Hilfe an Land, Mensch wird von der Feuerwehr aus dem Kanal gefischt.

In Uzès beginnen die „Nuits musicales“ mit Werken von Mozart, Scarlatti, Bach und Vivaldi. Das Orchester ist aus Lausanne angereist.

In Saint-Quentin-la-Poterie ist Darcy J. Sears zu Gast, eine Keramikerin aus Kalifornien. Bei einem „Petit déjeuner“ kann man sie kennenlernen.

In Baucaire werden acht jüdische Überlebende mit der Ehrenmedaille der Stadt ausgezeichnet. Sie gehörten zu den Flüchtlingen auf der „Exodus“, welche vor 60 Jahren vor der Küste Haifas von den Engländern festgehalten wurde. Erst ein Hungerstreik machte die politische Situation unangenehm genug, dass man die Flüchtlinge in Palästina an Land liess.

Unbill hat die Einwohnerinnen von Baucaire heimgesucht: Ihr geliebtes Wahrzeichen, der Bronzestier Goya von Baucaire, wurde von Vandalen einseitig enthörnt.

In Saint-Gilles wird für die Seniorinnen des städtischen Betagtenheims ein Grillfest auf der „Manhade Bilhan“ organisiert. Die Alten tanzen glücklich und feiern den 75. Hochzeitstag ihrer Mitbewohner Monsieur und Madame Tessier.

In einem Freundschaftsspiel schlägt die Fussballmannschaft Nîmes die von Arles 2:1 im Stade Secondi in Manduel.

In Montpellier arbeiten 350’000 Bienen, deren Körbe auf einem Hoteldach stehen. Diese produzieren speziellen Honig aus den Blüten der Parkanlagen der Stadt. 2009 wird der Weltkongress der Bienenzüchter „Apimondia“ hier stattfinden, unter anderem weil die urbanisierten Bienen weltweit auf grosses Interesse stossen.

Am Ende finden sich noch zwei kurze Berichte über das Weltgeschehen: Der Sarkozy-Besuch in Algerien und die Kämpfe um die Rote Mosche in Islamabad.

Und was wäre „Midi Libre“ ohne Zizou? Auf S. 9 der Sportbeilage kommt er endlich! Zusammen mit dem Amateur-Rugby-Spieler Guillaume. Dieser traf Zidane bei einem TV-Spot-Dreh in Madrid und hat ihm eine erste Rugby-Lektion erteilt. Wer weiss, was uns hier noch wartet.

Le dragon; France du Sud 2006

Die Blogk-Familie fährt nach Süden und wünscht sich wie letztes Jahr viel hellen Himmel über den verrauchten Köpfen. Allen anderen wünscht sie ebendies!

Zum Abschied noch Schönes aus der letzten Arbeitswoche:

  • Ich hatte wie gesagt, einen wunderbaren Geburtstag. Wie schön, so liebe Leute zu kennen!
  • 2nd, male hatte grosse Freude am Zeugnis seines Sohnes und hat natürlich fein gekocht an meinem Geburtstag.
  • 2nd, female hatte ein schönes Abschiedsfest an ihrer Arbeitsstelle (sie fängt nach den Ferien neu an).
  • 2nd2nd, female hat ihre Masterarbeit „Der frühe Beitrag von Frauen an die Heilpädagogik in der Schweiz – eine Spurensuche“ abgeschlossen und eingereicht.
  • 2nd2nd, male ist für die eidgenössische Ausbildung zum Hauswart angenommen worden. Es ist ein Lehrgang mit viel mehr Anmeldungen als Plätzen und eine Riesenleistung von ihm. Besonderer Dank gilt unserer lieben Freundin Anna, die mit ihrem ausgezeichneten individuellen Deutschunterricht einen grossen Beitrag dazu geleistet hat.
  • 3rd, male freut sich noch mehr als über sein Zeugnis, über die Rückmeldungen der Mitschülerinnen und Mitschüler. Jeder hat für jeden etwas Positives geschrieben. Zum Beispiel:
  • Lieber 3rd

    Ich finde es mega gut das du in wirklich fast allen Fächern mega gut bist! Ich bewundere das du eigendlich keine Rechtschreibefeler hast das möchte ich auch können! Was du auch gut kannst ist Fussballspielen!!!! Ich finde dich sehr nett!

  • 3rd, female kann jetzt neu „O“ sagen, ein passender Buchstabe für ihre vielen Entdeckungsreisen.
  • Heute früh um sieben gabs ein mächtiges Donnern im Treppenhaus, dann begann ein Bohrer mächtig zu bohren, so dass ich dachte, er durchbohre meine Waschmaschine oder mein Duschbecken, vielleicht sogar mich an meinem Schreibtisch. Der Lift wurde, wie gestern angekündigt, gewartet. Bei solchen Arbeiten können die Handwerker mit viel Goodwill seitens der HausbewohnerInnen rechnen, denn wer möchte schon im Aufzug stecken bleiben? Die Chancen, mit einem interessanten Mann oder einer wunderschönen Frau zusammen in der engen Kabine eingesperrt zu bleiben, sind bei uns gleich null. Solche prickelde Situationen kennen wir nur vom Film.
    Am Nachmittag packte ich Altglas, Petflaschen, Hauskehricht, Kleider und Schuhe fürs Brockenhaus, Post und Bibliotheksbücher zusammen, um damit in die Tiefe zu steigen. Klar hatte ich eine Hand zuwenig, um auch noch die Wohnungstür abzuschliessen. Da kam der Liftmonteur, nicht der von Zürich, packte meinen Einkaufswagen, begleitete mich zu Fuss bis ins Parterre und versprach, mit den Wartungsarbeiten fertig zu sein, bis ich nach Hause käme. Er verzichte heute sogar auf die Mittagspause und somit auf die Superpizza beim Griechen, (der eigentlich ein türkischer Kurde ist) und der mit den Pizzaauflagen nicht geize.
    Eigentlich sollten die Arbeiten schon abgeschlossen sein, aber als sie heute früh angefangen hätten mit Bohren, sei der Aufzug drei Eingänge weiter vorne stehen geblieben, und das sei ihm ein Rätsel.

    Keine Bodenvase

    keine Lampe, kein Finessgerät, etwas, das für die heutigen Wohnungen in einer anderen Form hergestellt wird und deshalb schwierig zu finden war. Etwas Wichtiges, das es immer geben wird, weil man es jeden Tag braucht, dazu etwas, das ich mir schon lange heimlich gewünscht habe. Das Paket ist schwer und scheint im Innern gepolstert zu sein.
    ?????

    (mehr …)

    Er schenkte seiner albanischen Nachbarin einen Tisch. Sie stellte den Tisch in den Veloraum vor die Tür zur Waschküche. Die Leute reklamierten, aber sie verstand nicht, was diese von ihr wollten. Der Verwalter rief bei ihm an und verlangte, dass er den Tisch wegräume. Er sagte, dass das gar nicht mehr sein Tisch sei, ging zu ihr und erklärte ihr in Albanisch, warum der Tisch nicht vor der Waschküchentür und dem Fahrradständer stehen bleiben könne. Daraufhin schleppte sie drei Matratzen in den Keller und legte sie zusammen mit anderem Gerümpel auf den Tisch. Nun hat er den Tisch mit eigenen Händen in die Sperrmüllsammlung getragen, so dass seine Finger ganz blau wurden. Er bezahlte auch die fünf Franken Entsorgungsgebühr. Das machte ihm nichts aus, aber mit den Matratzen will er nichts zu tun haben.
    Er will nur, dass sie endlich Deutsch lernt!

    Fallbeispiel am Podiumsgespräch „Forum Bethlehem“ von heute Abend, dargelegt von einem jungen Albaner. Es ging darum, Ideen zu entwickeln, wie das schlechte Image von Bern-West verbessert werden könnte. Mit in der Runde dikutierte auch 2nd2nd, female, während 2n2nd, male Kleinesmädchen mit Zahnschmerzen geduldig betreute.

    Die ganze Blogk-Familie braucht Ferien. Aber noch ist es nicht soweit. Bis zur Stunde der Abreise wird noch gekrampft. 1st gefällts nicht, wenn hier so wenig steht. Das Pensionsalter will sie hinausschieben und mir hilft sie bis zum Umfallen am letzten Schliff meiner Masterarbeit. Zum Bloggen hat sie keine Zeit.