August 2007


(Es gibt sie, die freiwillige Rückkehr. Ich hatte die kleine Familie einmal erwähnt, in 10 Jahre Dayton, im ersten Abschnitt.)

Gestern haben wir noch zusammen das Wohnungsübergabeprotokoll geprüft, in wenigen Stunden fährt der Bus und nimmt meine Freundin mit. Schlimmstenfalls 24 Stunden wird es dauern bis zum Ziel. Die Kinder sind schon sieben Wochen vorher zu den Grosseltern, Onkel und Tanten, gleich zu Ferienbeginn. Der Grosse schreibt immer um Mitternacht ein SMS: „Mama, ich weine gerade.“ Er schreibt lieber Deutsch, das geht schneller. „Mama, sie reden hier anderes Kroatisch.“ „Mama, die Kinder sprechen von Geld. Sag Onkel, dass ich haben sollte.“ Die Kleine ist recht zufrieden mit den Katzen, dem Garten, dem autistischen Cousin.

Der Möbelwagen ist vor einer Woche gekommen, viel war es ja nicht. Die Betten für die Kinder, eine Spende der Kirche. Das Bett der Mutter – aus dem Heilsarmeebrockenhaus. Ein Tisch, drei Stühle. Ein paar Kleiderkisten, deutsche Bücher, zusammengewürfeltes Geschirr, Abschiedsgeschenke mit Schweizer Kreuzen.

Warum sie kurz vor der Einbürgerung der Kinder zurückgehen?

Schwester und Familie gehen auch zurück. Die Unterstützung würde wegfallen. Wie als Alleinerziehende die Nachtschichten, wie die Wochenenden im Beruf bewältigen? Mit zwei schulpflichtigen Kindern! Die Tagesstätte ist zu den Arbeitszeiten einer Pflegerin geschlossen.

Und diese Schule! Von Februar bis Juni wurden keine Aufgaben mehr korrigiert, keine Tests geschrieben. Worauf die letzten Noten gründeten, hat keiner verstanden. 80% Migrantenkinder bedeutet auch 80% Migranteneltern. Sie haben keine Ahnung, was zu tun ist, was gut und richtig wäre, sie haben ja keinen Vergleich, nur so ein Gefühl und niemals, niemals Zeit sich zu befassen. Und die Schweizer schicken ihre Kinder in Privatschulen, ja, manchmal gar die Kroaten, wenn sie Zahnarzt sind. Mit wem sollte man sich da zusammentun?

Die Landschulwochen waren schön, die Jugentreffs wunderbar, das Bad, die Eisbahn! Die Schlittschuhmiete billig! Aber diese Schule? Dann noch lieber Kroatien ohne Schlittschuhe. Still sitzen und büffeln.

Wir haben viel gelernt von euch Schweizern, über die Demokratie in der Gemeinde, über den Dienstweg „we jede so wett“ und die Zusammenarbeit im Fussballclub. Wir sind dankbar für diese Jahre in diesem Land in Frieden. Aber eure Schule, nein, die tauschen wir gerne. Nun lernen die Kinder halt das neue Kroatisch von nach dem Krieg und Physik und Chemie – sicher vieles, was man nicht zum Leben braucht, aber besser als gar nichts! Und wenn alles gut geht, spielt der Grosse bald bei Enka Osijek.

Möge Gott euch Schweizer beschützen, wir werden an euch denken. Und das Berndeutsch, ne-neei, das vergessen wir nie.

Im Stephansdom stehen magere Putzmänner auf hohen Leitern und saugen den Staub von der Decke. Sie sind aus dem Osten, wahrscheinlich aus Polen, und sie tragen keine SUVA-Schuhe (CH-Sicherheitsschuhe). Möglich, dass bei dieser Gott gefälligen Arbeit in luftiger Höhe auch gar keine Unfallgefahr besteht. Mit dem Pinsel müssen die Heiligenfiguren vom Russ der Kerzen befreit werden. Wenn Benedikt XVI vom 7.-9. September Wien besucht, muss die Reinigung vollzogen sein. Nicht, dass der Papst Zeit hätte, jedes steinerne oder hölzerne Kuttenfältchen zu inspizieren, aber den Videowalls wird nichts entgehen!
(Aus einem Telefongespräch mit meiner Schwester Rosy in Wien.)

Gereinigt wird übrigens jedes Jahr, nur heuer aus besonderem Anlass, vorgezogen. So gerne ich in Wien Heilige mit Pinsel putzen würde, ich wäre zu schwer. In der Regel wird man ja in diesen Kreisen nach dem Wägen als zu leicht befunden, aber es gibt auch hier Ausnahmen 😉

Heute ist eine grauhaarige, mittelgrosse Frau auf mich zugekommen, sie hat ausgesehen wie viele andere alte Frauen, aber sie war angezogen wie vor fünfzig Jahren. Sie hat gefragt, ob ich „ein Buchzeicheli wett?“ Ich habe natürlich ja gesagt. Auf den ersten Blick sah das Buchzeichen aus wie irgend ein Thunerseekitsch. Ich hatte noch einen Stöpsel im Ohr und dachte überhaupt nicht an Mission. Als ich das Buchzeichen dann genauer anschaute, sah ich, dass die Rückseite voll war mit unvollständigen frommen Sätzen. Das Buchzeichen sieht alt aus und ist selbst gebastet, irgendwie rührend :

Buchzeichen von Jesus Buchzeichen von Jesus 2. Seite

Eine von vielen

Nachdem Vater schweren Herzens und mit Tränen in den Augen die Holzerei den Jungen übergab, musste er im Frühling auch von der Gartenarbeit Abschied nehmen. Das war hart und er wünschte sich, noch einmal Stangenbohnen und Sonnenblumen blühen zu sehen. Familie und Zugewandte taten ihr Bestes, um dem alten Mann diesen Wunsch zu erfüllen. Die ersten Bohnen konnten bereits geerntet werden, süüferli mit der Schere abgeschnitten, damit die feuerrot blühenden, eine reiche Ernte versprechenden Ranken nicht zu Schaden kamen.
Die Sonnenblumen stehen inzwischen auf meterhohen dicken Stängeln (endlich kann ich dieses Wort einmal passend anwenden) und sind die Prächtigsten weit und breit.
„Telekom-Sonnenblumen“ nennt sie 2nd, male. „Was habt ihr ihnen gegeben?“
Natürlich nichts, kein Gramm Dünger – völlig ungedopt jede einzelne Pflanze!

Vater sitzt jeden Tag auf der Laube und schaut in den Garten hinaus. Die „Uhr“ mit dem roten Alarmknopf trägt er nicht mehr. Er nimmt’s wie’s kommt.

(mehr …)

Wohl, wohl, auch ich bin zurück vom Rhonedelta. Den Rank zum Blogk habe ich bis heute nicht gefunden, und ich zweifle daran, dass ich ihn vor dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember finden werde. Vergangene Woche bin ich 68 Mal bei Bernmobil ein- und ausgestiegen, da alle Tram- und Buslinien durch den Bahnhofplatzumbau unterbrochen sind.
Aber wir dürfen hoffen, denn bis zum 7. Juni 2008 wird alles gut!
Bis dahin muss ich nur noch 2992 Mal ein- und aussteigen.

Sie wurde am Sonntag von ihrem Ehemann bedroht, aus dem Fenster geworfen zu werden und floh zu Fuss mit ihrem drei Wochen alten Säugling. Er fand sie um Mitternacht, brachte sie nach Hause und verprügelte sie blaugelbgrün. Am Montag kam sie zu mir und bat, ihre Schwester aus St.Gallen zu informieren. Diese schenkte ihr bisher kaum Glauben, erschrak über meine Erzählungen der NachbarInnen und kam sofort. Ein neuer Streit entfachte sich und die Polizei musste kommen.

Leider war die Mazedonierin so erschöpft und verängstigt, dass sie nicht zugab, bereits über ein Jahr misshandelt zu werden. Hatte sie doch stets die Warnungen ihres Mannes im Kopf, er werde sie überall finden und früher oder später umbringen. Vom Kind könne sie sich sowieso schon verabschieden, wenn sie ihn verlassen oder verraten würde. Also belog sie die Polizei, sie liebe ihn überalles, er hätte ihr sonst noch nie Gewalt angetan, sie wolle mit ihm und ihrer Tochter zusammen bleiben…

Die Polizisten erklärten mir die Gesetzeslage. Es sei zu wenig passiert, um jemanden mitnehmen zu können. Aussdem hätten wir hier auch keinen Wald mehr, wenn man all diese Typen einsperren würde. Da stünden nur noch Gefängnisse. Jeden Tag würden sie einmal wegen einem solchen Fall ausrücken. Ca. 30% der betreffenden Frauen würden Anzeige gegen ihre Ehemänner erstatten und davon käme wiederum jede Zehnte am nächsten Morgen auf den Posten, um diese zurück zu ziehen. Was wollte ich anders, als mich auch zurück ziehen? Die Mazedonierin hat noch nie auf mich gehört. Bloss in Extremsituationen will sie was von mir. Die Polizei verabschiedete sich ebenfalls. Auch die Schwester und ihr Mann nahmen nach heftiger Diskussion mit dem Täter den 250 km langen Heimweg in Angriff. Zurück blieb die junge Familie in der Einzimmerwohnung.

Er wurde 1970 im Südlibanon geboren. Zwischen 1983 und 1995 erlebte er hautnah Krieg. Sein Körper weist drei Schussverletzungen auf. Elf Geschwister leben noch. Der 41jährige Bruder sitzt seit 23 Jahren bei den Israelis im Gefängniss. Nein, besuchen könne er ihn nicht. Sähen die Libanesen ein israelisches Visum in seinem Pass, sässe er zehn Jahre in Haft.

Ich warte auf den Rückruf seiner Sozialarbeiterin, respektiv deren Stellvertreterin, denn sie weilt bis Ende August in den Ferien. In meiner Abwesenheit belästigte er wieder unsere BlockbewohnerInnen. Er will einfach immer Geld und schwört, es zurück zu geben. Mit seinen glaubhaften Begründungen erbettelte er sich schon tausende von Franken – Schulden. Er akzeptiert kaum ein „nein“, ist aber noch nie gewalttätig geworden. Höchstens küsst er Stirnen und Hände oder hält Füsse fest umklammert, um auch diese zu küssen. Er stellt auch schon Mal seinen Fuss in die Tür. Viele geben ihm Geld, weil sie sich dadurch Ruhe vor ihm erhoffen; weit gefehlt. Die Kinder und die verschleierten Frauen haben grosse Angst vor dem langen unheimlichen Mann.

Zwei Mal am Tag holt er sich in unserer Apotheke seine Medikamente: Xanax, Zebreska, Valium und drei weitere, die ich nicht kenne. Therapien wurden allesamt mit der Begründung abgebrochen, er halte sich an keine Abmachungen und sei Therapie unfähig. Er ist wirklich sehr vergesslich, nervös und distanzlos. Er kommt den Leuten viel zu nahe und schlägt sich am Türrahmen und allen anderen „Hindernissen“ an.

Er hat mehrere Anzeigen wegen Belästigung und Diebstahl. Seine in Dubai im Sterben liegende Mutter wünscht sich nur eins: dass er heiratet und Kinder macht. Deshalb hat ihm seine Familie eine Frau organisiert, die anscheinend in einem Monat und zehn Tagen in die Schweiz eingeflogen wird. Sie spräche Französisch, Italienisch und Englisch und mit ihr würde er geheilt. Auch sein rauschender Tinitus würde nach der Hochzeit verschwinden. Bei einem seiner Brüder war das auf jeden Fall so – er schwoort mann.

Auf der dürren Pinie treffen sich die Wildtauben und gurren in den beginnenden Tag hinein. Eine wohlgenährte Zuchttaube gesellt sich zu ihren unscheinbaren Verwandten, schlägt mit weissen Schwanzfedern ein vornehmes Rad. Der Ast biegt sich unter ihrem Gewicht.
(2nd, male nennt den Vogel „Truthahn“).
Das morgendliche Gruu-Gruu-Konzert wird vom Elsternpaar gestört, welches die umstehenden Pappeln, Oliven- und Eukalyptusbäume krächzend und schnatternd beherrscht und nebenbei auch Anspruch auf den dürren Taubenbaum erhebt. Beide Vögel schiessen auf die Pinie zu, mit schnellen Flügelschlägen machen sich die Tauben davon. Nur die Spatzen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und bleiben wie kleine Kerzen auf den Zweigen sitzen.
Aufmerksam beobachtet Kleinesmädchen den Vogelspektakel und sagt dazu begeistert: „Määh!“