Mai 2008


Ich treffe meine pakistanische Nachbarin im Bus und frage nach ihrem Befinden. Sie ist Migränikerin und sowieso etwas angeschlagen. (Migration macht vielleicht nicht zwingend krank, aber sie macht müde und arm und beides zusammen ist ungesund.)

Heute geht es der Pakistanin blendend, denn sie geht zur Massage. Ihre Putzschicht – „nur zwei Stunde diese Morgen!“ – hat sie hinter sich. Sie freut sich auf Entspannung und „Heilung“. Ich frage, wo sie denn beides finde? Da beginnt sie ganz nahe an meinem Ohr zu flüstern:

Es gebe ein Ausstellungsgelände mit Jadebetten. Das sei ein Geheimtipp für ganz viele Asiaten. Seit sie es in der Putzequippe erzählt habe, auch für Frauen aus Ex-Jugoslawien. Ihre Mutter käme auch. Man müsse sich daran gewöhnen, dass einem so viele Leute bei der Massage zuschauten, aber sie nehme eine Decke mit (nebenbei: sie trägt immer lange Kleider und auf Wunsch ihres Gatten seit 9/11 ein Kopftuch) und eigentlich sei es gar nicht so schlimm. Es hätte fünfzehn Ausstellungsbetten aus Jade und davon sei mindestens die Hälfte besetzt, da verteile sich der Blick der Zuschauer gut. Und erst die Wirkung! Ein Wunderbett! Einen solch entspannten Nacken habe sie seit Jahren nicht mehr gehabt. Und alles gratis! Nur eben die Zuschauer. Aber das sei es wert.

Sie und ihre Mutter wollten zusammen ein Bett kaufen, es kostet 4’400.– bis Ende Mai. Danach 4’800.–. Warum das? Alles wird doch mit der Zeit billiger, die elektrischen Zahnbürsten, die Kaffeemaschinen, halber Preis. Warum wird ausgerechnet das Jadebett teurer?

Jedenfalls haben sie mit dem Verkäufer vor Ort gesprochen, sie und ihre Mutter. Aber er akzeptierte ihre angebotenen Raten von 220.– Fr. pro Monat nicht. Auch am nächsten Tag nicht und die Woche darauf immer noch nicht. Jetzt gehen sie einfach in die Ausstellung, jeden Tag nach der morgendlichen Putztour – bis sie zu Ende ist.

Auszüge aus einem E-Mail einer Rückkehrerin aus Kroatien:

Liebe 2nd, ich danke dir von ganzem Herzen fur gute Wunsche! Ich vergesse nie damals seine Einladung mit 4-5 Menu; zum meinem Geburstag! Das war wunderbar von euch beiden, niemand im leben hat mich so gut bekocht !

Mir gehet es ziemlich gut, am Arbeit bin ich sehr zufrieden und jeden Tag wird besser… es sind trotzdem viele neue Sachen die ich nie gemacht habe, auch Sprache merke ich manchmal das ich etwas lieber auf Deutsch sagen mochte, weil auch Sprache und gewisse Worte sind ganz neue fur mich. Weil ich eben viel mit Artzten, Profesoren…ect. am telefon oder sonst komunizieren muss ist manchmal anstrengend, aber Ubung macht Meister!

Kinder sind hier sehr gefordert, aber auch ziemlich selbstandig. Und doch vieles stimmt nicht, Armut gibt es wenn man es sehen mochte, vor allem seelische Armut und doch viele Manschen kampfen jeden Monat zum uberleben. Und viele leben im uberfluss und das wird noch serviert uber Medien, Zeitungen… Medien sind schreklich und monstruos geworden und leider sind viele Menschen abhangig von Medien und schlucken jede neue scheiss Nachricht und aufregen sich nur!

Alles wird tag taglich teuerer, das ist ein Kunst bei uns uberleben Monat zu Monat ohne ins minus zu rutschen! Ich selber habe noch kein realistisches Bild wie man mit meinem Lohn uberlebt mit 2 Kinder, weil ich zum Gluck noch unterestutzt bin vom Programm bis ende Juli! Angst habe ich nicht, aber ich muss bald mit Budget gut aufpassen. Ja, zum Gluck habe ich auch diese Erfahrung aus Schweiz mit sehr wenig Geld auszukommen und es wird gehen!

Ich habe wunderbare Garten mit viel Gemuse, naturlich hat Mutter fast alles selber gepflegt, aber jetzt muss ich schauen. Werde dir auch paar Fotos schicken vom Haus, Garten und uns. Wie ich es schon gesagt habe seid ihr immer eingeladen bei mir, jeder Zeit!

Also, meine lieben, habe heute sehr ruhige arbeitstag und bin froh das ich Zeit hatte zu schreiben. Schicke ganz lieben Grusse an 1st, 2nd2nd und alle!

Endlich, nach über 50 Jahren, ist die Rennstrecke Bremgarten wieder eröffnet. Zwar toben sich darauf vorerst noch keine Piloten in ihren Formel-1-Boliden aus, sondern die Postautochauffeure der Linie 109 Richtung Mühleberg. Der gefährlichste Sitzplatz ist der erhöhte in Fahrtrichtung der hinteren Türe gegenüber. Das wissen die Pendler und deponieren darauf ihre Rucksäcke oder Taschen. Nur ein Grünes Horn verlangt diesen Platz und wird prompt auf der Höllenfahrt zwischen Forsthaus und Eichholz vom hohen Sitz an die Tür geschleudert. Diese ist ein Schweizerprodukt und hält dem Aufprall stand.

Geboren an einem eisigkalten Sonntag im Januar 1916, gestorben an einem regnerischen Sonntag im Mai 2008. Albert wurde bis ans Ende begleitet von lieben Familienmitgliedern (die ihm nicht verwandt waren).

Sommerweizen

Der Bauernhof, auf dem wir Pfingsten verbracht haben, war ihm Heim und Heimet. Meine Grosseltern hatten den Hof übernommen, weil Albert und sein Vater nach dem Tod der Bäuerin mit der Arbeit in Feld und Haus nicht mehr zurecht kamen.
Meine Mutter wird die kommenden Nächte erneut einen Lebenslauf schreiben, weil sie halt die Archivarin der Familie ist und auch Alberts „Trucke“ mit den alten Fotos und Dokumenten behütet. Sie hat schon manch‘ schönen Beitrag über Albert verfasst und wie ich sie kenne, wird sie – sobald sie von der Totenwache zurückkehrt – auch hier noch ein Bild ergänzen.

Es bleibt uns, Albert zu danken: Für seine Erzählungen, seine Rezitierfreude, sein glucksendes Lachen und die vielen guten Gespräche über frühere Zeiten mit meinem Grossvater, die wie kleine Filme in den Köpfen von drei Generationen Nachfahren erhalten bleiben.

Wieder einmal treffe ich Aliva. Sie begleitet mich zu meinem Block. Aliva kommt von der Schneiderin, die ihr ein „Bolero“ zu einem Trägerkleid genäht hat. Im Gehen nimmt sie das kurze Jäckchen aus der Plastiktasche – ein Hauch von schwarzem Stoff und seidenen Quasten, verziert mit einigen Pailletten. Am Samstag heirate ihre neunzehnjährige Cousine. Die Familie habe einen Saal für dreihundert Leute gemietet, eingeladen seien aber an die tausend. Die ganze Heirat sei überhaupt eine Dummheit, denn Braut und Bräutigam seien Cousins. Seit Generationen werde in diesem Zweig der Familie nur untereinander geheiratet. Alles Abraten habe nichts genützt. Zu so einer Hochzeit kauft Aliva auch kein neues Kleid, da genüge das Bolero vollkommen, verdecke auch ein bisschen die wabbelnden Oberarme. Denn das Tanzen lasse sie sich nicht nehmen nach all dem Ärger.

1st und 3rd, female

Viele Generationen haben hier – auf dem Bauernhof, welchen meine Grosseltern lange gepachtet hatten – den Pfingstsonntag verbracht. Nicht jede Pfingsten. Manchmal war man auch verkracht, verreist oder einfach verzweifelt.

Gestern haben wir es wieder gewagt und geschafft. Neue Ehen, neue Kinder, neue Jahrgänge von Zwetschgen und Kirschkonfitüre, neu gewobene Teppiche aus hinterlassenen Grosmutterkleidern – viele flinke Hände und allenthalben soziales und haushälterisches Flair haben es möglich gemacht.

Danke allerseits!

auf den Bus vor zwei Tagen fotografiert
und „nur für schön“ veröffentlicht:

Heisse Luft 1 Heisse Luft 2
Heisse Luft 4 Heisse Luft 5
Heisse Luft 8 Heisse Luft 9
Hier der erste und der zweite Teil des Jubiläums der Ballongruppe Bern.

Monatelange Geüchte, dass der ganze Block für eine Totalsanierung geräumt werden müsse, treiben viele Mieterinnen und Mieter beinahe zur Verzweiflung. Nächtelang überlegen sie sich, wohin sie denn umziehen könnten. Die Älteren denken an einen frühen Eintritt ins Seniorenheim. Schon vor Sonnenaufgang sieht man sie auf dem Gang zum Textilkontainer. Sie graben ihre Rosenstöcke und Hortensien aus und verschenken sie an Leute, die einen Garten besitzen. Nur die allernötigsten Neuanschaffungen werden getätigt. In der Freizeit und den Ferien werden Wohnungen besichtigt. Gefallen tut nichts wirklich, denn der Block, aus dem man sehr wahrscheinlich „vertrieben“ wird, ist einem ja der liebste.
Es wird schlimm, das ist seit einigen Tagen sicher. Der Block, eines der grössten Gebäude der Stadt, muss saniert werden – total: Gebäudehülle nach energetischen Aspekten, neue Bodenbeläge, Küchen, Bäder, Duschen, Heizungen, Fenster, Leitungen, neue Raumaufteilung. Das bedeutet, es werden Wände eingerissen und Kleider- und Besenkammern aufgehoben. Aber gekündigt wird niemandem, nur Verständnis und Rücksichtsnahme von allen Beteiligten gefordert. Ein Team wird die Mieterinnen und Mieter betreuen und sich deren Anliegen besonders annehmen. Bis jetzt hatten wir eine Liegenschaftsverwalterin. Da man aber vor einer zweijährigen Umbauphase steht, wurde sie durch einen Mann ersetzt. Schliesslich kommt eine noch nie dagewesene Herausforderung auf uns alle zu, und da wäre eine Frau wahrscheinlich überfordert, meint der Bodenleger und zwinkert mir dabei zu. Die meisten Blockbewohner sind bereit, diese zwei harten Jahre auf sich zu nehmen. Sorgen bereiten ihnen aber die angekündigte Mieterhöhung nach „marktgerechten Niveau“. Vermag man dann die sanierte Wohnung noch zu bezahlen oder wäre man doch besser vor all dem Lärm und Schmutz umgezogen?
Einen neuen Namen für „blogk“ zu finden wäre noch das Einfachste.

Ich kaufe in der Bäckerei ein Sonnenblumenkernenbrötchen. Ob ich mit der Karte bezahlen möchte, fragt mich die nette Verkäuferin und erklärt mir, dass es hygienischer sei, wenn sie neben den Backwaren und Kafibechern kein Geld anfassen müsse. Ausserdem sei dann kaum Geld in der Kasse.
Ich bezahle mit der Karte und darf mir aus einem Korb eine Frucht aussuchen.

Beflaggung

In die Gasse (und in meinen Föteler) scheint die Morgensonne, ein „Wind mit noch etwas Schnee drin“ weht leicht in das Fahnentuch – eine Frühlingsstimmung in der Altstadt, wie sie mir lieb ist. Ich habe in einigen Ausnahmefällen einen Hang zum Bünzligen. Bern ist beflaggt wie selten. Anscheinend sehe ich einheimisch aus, denn ich werde oft auf die unbekannten Sujets wie gekreuzte Haubitzen, aufgerichtete Löwen mit Stiefel in den Vorderpranken, Ruder mit Ruderhaken, gekrönte Böcke usw. angesprochen. Gibt es irgendwo ein Nachschlagewerk? Leider nein, denn das Buch „Der heraldische Führer durch Bern“ meldet die Universitätsbibliothek als vermisst. Auch die EURO08-Organisatoren und die Tourismusverantwortlichen können mir nicht helfen. Aber ich werde verwiesen an das „Veranstaltungsmanagement, Marketing“, (die frühere Gewerbepolizei?). Die zuständige Frau Schiess gibt mir sechs Adressen und schreibt:

„Die Flaggen gehören den Leisten. Es handelt sich nicht nur um Landes- und Kantonsfahnen, sondern auch um Gemeinde-, Amtsbezirks- und Zunftfahnen, deshalb sind so viele ausserordentliche Sujets dabei, die man z.T. normalerweise gar nie sieht.
Ich hoffe, dass Sie der Fahnen-Sache damit auf den Grund gehen können und wünsche Ihnen viel Erfolg und Vergnügen.“

Eine so nette Antwort bekommt man, wenn man endlich einmal Thema wechselt und nicht immer und immer wieder wegen dem mangelhaften Service bei BernMobil oder dem Kehricht reklamiert!

Info für Leute, die wie ich, den Unterschied zwischen Fahne und Flagge nicht kennen: Die Flagge könne mittels einer Leine am Flaggenmast gehisst werden.
Ich kenne einige, die das auch schon mit einer Fahne getan haben.

Wer sich viel vornehme, werde viel leisten wurde uns in der Schule gesagt.
Nach all den Jahren bin ich eine Künstlerin im Viel-Vornehmen geworden.
Dabei bleibt blogk auf der Strecke.
Hier doch noch einen kleinen Rückblick auf die vergangene Woche:

Bestsellers

Vielfalt statt Einfalt

Nach dem Rennen

Endlich Glacewetter

Wo sind die Deutschen?

Herausgeputzt

Integrieren??

Gelandet in Bethlehem

(mehr …)

Prinzessinnen

Zuschauerinnen beim Tanz der Prinzen.