September 2008


Wir haben zwischen den Blöcken, in die unsere Familie verteilt ist, herumtelefoniert, diskutiert, einander Vorschläge gemacht und wieder verworfen… Es ging darum, wieder einen optimistischeren Tonfall ins Weblog zu bringen. Aber leider sehen wir uns im Moment nicht in der Lage.

Wir sind alle mehr oder weniger gesund, haben Arbeit und kennen viele liebe Leute, doch das positive Denken ist uns temporär abhanden gekommen.

Am Schlimmsten trifft es 1st mit ihrer Wohnsituation. Aber fast ebenso übel läuft es bei Familie 2nd2nd, deren Block von einem gemeingefährlichen Irren drangsaliert wird und die ständig allen Gefahren ausgesetzt sind, die von unbetreuten Psychopathen ausgehen, welche ihre Medikamentierung und ihren Drogenkonsum selber bestimmen. 2nd2nd, male, der Hauswart, kann seine Wohnung nur noch mit dem Hammer in der einen, und dem Pefferspray in der anderen Hosentasche verlassen.

Stammgast auf dem Polizeiposten zu sein, ist das eine, unsere Familie hat sich daran gewöhnt. Aber schwanger wie 2nd2nd, female und mit einem kleinen Kind in ständiger Bedrohung zu leben, ist das andere. Wir bemühen uns seit Jahrzehnten, die Ghettoisierung hier zu vermeiden, wir rennen an gegen Selbstjustiz, Clanwirtschaft und Ignoranz und wir fühlen uns echt vernachlässigt. Wir hätten den Arm des Gesetzes nämlich bisweilen bitter nötig.

Die Hausverwaltungen sind mit der „nachhaltigen Aufwertung“ unserer Quartiere absorbiert; sie arbeiten nicht für die Gegenwart, sondern nur noch für eine Vision der Zukunft. Die Polizei ist permanent überlastet (man weiss, wenn man drankommt, lassen sie dafür drei andere stehen), die Quartierarbeit ist völlig unterdotiert und die eigene Partei wird vielleicht auch noch die letzten für uns wichtigen Massnahmen aus dem Papier „Öffentliche Sicherheit für alle“ radieren. Noch ist es nicht soweit und wir hoffen auf den Blick unserer Genossinnen und Genossen über den Teller an den Rand. Überall dorthin, wo mit dem Status Quo hauptsächlich „Sicherheit für die Starken“ und „Freiheit für die Durchgeknallten“ erreicht werden.

Auch wenn wir die Nase gerade gestrichen voll haben: Gemessen an Platz und Einwohnerzahl haben wir hier in Berns Westen wenig Knatsch, Kriminalität und Schäden an Leib und Leben. Und wir wissen sehr wohl, dass es an uns ist, etwas zu ändern und auch, dass es nicht irgendwo ein anderes Leben gibt, in dem alles immer gut läuft.

Deswegen bloggen wir weiter und sicher auch wieder einmal positiver.

Bis heute früh wusste ich nicht, was eine Environmental Failure Notice ist. Es könnte aber die knappe Rettung vor einem noch riesigeren Riesenschaden bedeuten. Bereits Mitte der 90er Jahre flüchteten kurdische Familien „weil Wasser kommt“ in die Schweiz. Hier habe ich darüber berichtet.
Nun werden die zuständigen Verantwortlichen „nervös“. Ich bin gespannt, ob die Schweiz, Deutschland und Österreich sich dazu durchringen können, der Türkei die Unterstützung bei diesem grössenwahnsinnigen Projekt zu kündigen, indem sofort oder no ender eine EFN erlassen wird. „Better late than never“ könnte man sagen, wenn nicht die Falschen schon längst die Rechnung bezahlt hätten.
(Link ergänzt: 31.07.2018)

2nd, male, und 2nd, female, machen ihren Sonntagsspaziergang nun neuerdings durch das Brünnenquartier.

Wir versprechen uns davon Kraftpunkte. So wie in den Games, in welchen man mit seinem Toggel an besonderen Orten vorbeigehen muss, um ihn genesen oder wiederaufladen zu lassen. Unser kleines Leben, endlich aufgewertet. Ein Gefühl wie ein neuer PSP.

Schon fast wehmütig erinnern wir uns an die erste Informationsveranstaltung zum Nachbarquartier. Damals noch mit dem selten begabten Gemeinderat Guggisberg, der uns einleitend und zum Abschied sagte:

„Brünne wird öich Läbe bringe.“

und Besucher

Schön, Sie alle hier zu haben. Wohl aufgrund dieses Artikels im heutigen Bund, der blogk als „Plattform für Gäbelbachbewohner“ zitiert.

Das ist jedoch einfach ein Weblog einer Familie, die im Gäbelbach aber auch in anderen Blöcken von Bern-Bethlehem wohnt. Es geht hier ganz allgemein um Freuden und Leiden im Alltag und ab und zu um eine Prise Gesellschaftskritik. Die Beiträge, die sich mit der Sanierung des entsprechenden Gäbelbachblocks befassen, finden sich in der Rubrik „Totalsanierung“.

Wenn wir gerade beim Thema sind: Schön für die Verwaltung, dass die Nebenkosten im Artikel nicht vorkamen. „Inklusive“ sehen die heutigen Mietzinse nämlich anders aus. Wir haben uns damit abgefunden, weil mehr Heizung bei zunehmendem Durchzug eine gewisse Logik hat. Dass die Nebenkosten gemäss Dokumentation der Verwaltung nach der Sanierung gleich bleiben, erstaunt keinen mehr.

Ich gebe es zu: In diesem Blog wird der Eindruck vermittelt, dass im neuen Stadtteil nicht alles was glänze Gold sei. Gerne lasse ich hier auch einen der zahlreichen Festredner sprechen, welcher mit seinen ergreifenden Worten ein bisschen Sonnenschein in einen strömenden Regentag zauberte.

Herr Thomas Balmer, Präsident Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz hat das Wort:

„Brünnen, das ist mehr als eine Überbauung – Brünnen ist ein Gefühl, eine Vision, die sich heute umsetzt. (…) Eine Siedlung braucht eine Seele, damit es den Menschen nicht als Schlafstätte sondern als Lebensraum, als Daheim, dient. Diese Seele soll sich entwickeln, damit Brünnen lebt. Wir hoffen, dass unsere Bemühungen, unser sorgfältiges Planen und unser Streben, Brünnen zu etwas Besonderem zu machen, diesen Funken zünden lässt und sich eine Überbauung entwickelt, deren Bewohner mit Stolz sagen: „Ich bin ein Berliner“ „Ich wohne in Brünnen!“

(Aus: Wulchechratzer, Jg. 46, Nr. 9, 18 Sept. 2008)

Aha-Erlebnis meinerseits:
Nun weiss ich endlich, weshalb die Schlaf-Zimmer in den neuen Häusern so eng sind. „Es“ soll nicht als Schlafstätte dienen und ich hoffe für alle Seelen, dass sie sich nur dem Platz entsprechend entwickeln. Sollten eine Seele oder ein Funke aber zu gross werden, geben wir ihm, solange ich noch hier bin, in meinem etwas herunter gekommenen Quartier gerne Asyl.

In strömendem Regen wird das neue Wohnquartier in Berns Westen eingeweiht. Wer schon vom ersten Spatenstich an zur Prominenz gehört, ist im Besitz eines grossen schwarzen Schirms mit dem Aufdruck „West side“ und hat deshalb nur mit dem ungeeigneten Schuhwerk zu kämpfen. Gekommen sind Interessierte aus der ganzen Stadt und der Agglomeration, um das neue Angebot an Miet- und Eigentumswohnungen zu besichtigen.

Neuer Wohnraum

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Ehrlich gesagt sind wir ein bisschen muff, denn niemand, niemand berichtet über uns. Dabei sind wir ebenso nigelnagelneu wie das Libe Kind „Westside“ und das „Bernaqua„, über welche nun in jedem Käseblättchen geschrieben wird. Zugegeben, auf den ersten Blick sind wir Treppen einander ähnlich. Es lohnt sich aber, einen zweiten zu wagen und man wird sehen: jede von uns ist anders, seis in der Höhe und Anordnung der Stufen, der Lage, der Beleuchtung, der Zusammensetzung des Betons oder des begleitenden/fehlenden Handlaufs. (Handläufe, hier „Stägegländer“ genannt, verschandeln die junge dynamische Architektur und verleiten die Jugend zu üblen Spielchen auf Skateboards/Inline Skates). Unser gemeinsames Ziel ist es, die Quartierbewohner hinauf zu führen auf die Ebene des Konsums, d.h. zum Coop-Laden und dann ein paar Meter weiter zum grössten Konsumtempel der Schweiz. Im Moment beklagen sich die Leute noch über uns, stöhnen, stolpern, schnaufen übel, besonders, wenn sie einen Rollstuhl oder Kinderwagen über die Rampe hinauf schieben müssen. In einigen Monaten, wenn die Fitness steigt, Gewicht, Blutdruck und Cholesterin runter gehen, wirds auf unseren Stufen einen Ansturm geben. In den nächsten Tagen werden wir auf individuellen Tafeln unsere ganz persönliche Schwierigkeitsskala „Freiklettern“ präsentieren.
Wir sind stolz darauf, ein echtes Prix-Garantie-Fitnessprogramm anbieten zu können und hoffen, dass die Lifte weiterhin mangelhaft funktionieren.
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Am kommenden Samstag wird das neue Quartier in Bern-West eingeweiht und dazu auch der neue Coop-Laden am neuen Ansermet-Platz, schräg gegenüber dem neuen Le-Corbusier-Platz, vis-à-vis dem neuen „brünnen leben“-Quartier. Neben Ansprachen gibt es u.a. einen „Grossen Brünnen Wettbewerb“, bei welchem ich besonders den 2. Preis interessant finde: ein hochwertiges Zelt für vier Personen.

Anlieferung in Eile

Heute hat man im neuen Laden die neuen Tablare der neuen Gestelle aufgefüllt. Milch floss dabei in Strömen, und den Honig haben sie uns auch versprochen.

Obwohl sich der Verdacht erhärtet, dass die im vorherigen Beitrag erwähnte Verwaltung eine Studie in Auftrag gegeben hat, welche zum Schluss kommen musste, dass ein Marktsegment für Blockwohnungen nach Wohlstandsideen besteht, werden wir neben himmelschreiendem Unrecht auch einige geldverschlingende Fehler dokumentieren können, bevor wir alle umziehen. Deswegen die neue Kategorie.

Obwohl die Tür des Grossen Saales erst um 19 Uhr göffnet werden soll, warten davor schon zahlreiche Mieterinnen und Mieter. Eine alte Frau ist auf dem Vorplatz gestolpert und wird nun von ihren Nachbarn aus der Pfütze wieder auf die Beine gestellt. Es regnet in Strömen, ab und zu rollt der Donner über die Dächer. Alle sind gekommen, um sich über die bevorstehende Totalsanierung unseres Blocks informieren zu lassen. Aufgereiht auf der Bühne sitzen bereits die Fachmänner (Fachfrauen sind nicht vorhanden) für Haustechnik, Betonsanierung, Architektur, Verwaltung, dazu ein junger „Trübel“ mit schmalen Schultern, welcher für sämtliche „Mieterangelegenheiten“ während der zweijährigen Bauphase zuständig sein wird.
Der Redner macht dem eifrigen Getuschel des Publikums ein Ende, indem er den dröhnenden Lärm einer Kernbohrung auf Band abspielt. Zügig und solange das angebohrte Publikum noch Ruhe behält, wird nun powerpointunterstützt „ehrlich und offen“ informiert: Küche elektrisch mit Glaskeramikherd und Geschirrspüler (Klatsch, klatsch von den Hausfrauen). Dann folgt ein (ehrliches) Bild von einer herausgerissenen Küche. Dieser Zustand wird mindestens 5 Wochen andauern: deshalb Verpflegung bei Freunden organisieren, evtl. Abgabe von Kochplatten durch den Hauswart. Anschliessend Bad/Dusche geplättelt (Klatsch, klatsch von den Hausfrauen): Duschen und Bislen im abschliessbaren Kontainer vor dem Block. Herr Meise aus dem Publikum hebt seine Krücke und ruft, dass er pro Nacht mindestens dreimal müsse. Der Redner bittet um Ruhe und rät, die Ferien so zu planen, dass das Bislen in den Griff zu bekommen sei. Eine Attikabewohnerin in den hinteren Reihen verlangt eine Terrassensanierung – Teeren statt Verbundstein, damit kein Unkraut durchstösst.
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