August 2010


Die Zukunft lesen
(Aus dem Fotoalbum von 1976)

Feriennotizen 24/07/10

Der Platz auf der Nordseite der Kirche ist leer. Weit und breit keine Gitanes, die den Touristen ein billiges Medaillon der Sainte Sarah in die Hand drücken, um den Überrumpelten dann Vergangenheit und Zukunft aus der Hand zu lesen. Verschwunden auch die kleinen Buben, welche in zu grossen Schuhen mit einem platten Fussball spielten, „Non“ sagten, wenn ein Touristenkind mitmachen wollte und auf ein „Pourquoi pas?“ antworteten „C’est la vie.“
Keine der fahrenden Frauen hütet heute die Kerzen in der Krypta und steht der hölzernen Heiligen bei, wenn sie tausendmal berührt, geküsst und geblitzt wird.

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Ganz früher hat Frau C. für den General mit der Augenklappe (selber Schuld, Spiegelung des Feldstecherglases und schnelle Reaktion eines feindlichen Schützen) geschwärmt, später noch für den polnischen Elektriker mit Schnurrbart und Friedensnobelpreis. Dann wars mit Schwärmen ziemlich Schluss.
Wie die Frauen so aus dem Häuschen geraten können wegen dieser Schwingerei ist ihr schleierhaft. Krass findet sie, dass Stätderinnen sich neuerdings mit Brunner Monika, Röthlisberger Brigitte, Blatter Katrin vorstellen und nicht mehr mit Monika Brunner, Brigitte Röthlisberger und Katrin Blatter. Familienname zuerst, wie bei den Schwingern, das sei eben urchig, und urchig sei hip. Obwohl d’Manne im Sägemehl Scheiche wie Eiche und einen Muniäcken hätten und man ihnen die Hemdsärmel bei der Hochzeit auftrennen müsse, damit die ganze Kraft Platz habe, zählten die Schwinger zu den Zärtlichen, welche das Sägemehl liebevoll von der Achsel des Gebodigten klöpferleten und ihnen tröstend über den Arm streichelten. Gewaltlos, domestiziert, die strengen Regeln befolgend, ohne Starallüren und Hinterhältigkeit und total volksnaaaaah. Und stehe dann endlich einer nach hartem Brienzern, Buren, Hüftern, Kurzen und Überspringen endlich gekrönt in der Turnhalle auf dem Podium, sei das einfach unbeschreiblich grossartig. Es schade gar nicht, im Gegenteil, wenn der „Mann wie sein Tal“ kaum ein Wort füre brösmele könne. Wenger Kilian (König Kilian I.) sagt nur: ja-eh-liebi-Lüt. So etwas habe frau schon lange schmerzlich vermisst, diese Bescheidenheit und Einfachheit. Frau C. kann sich nur wundern, traf sie doch einige dieser Schwärmerinnen in den siebziger Jahren regelmässig im Frauenbuchladen. Anscheinend ist der schwarze Muni Arnold (Königspreis) nicht ins Diemtigtal zum Fleckvieh gezogen. Er hätte nicht gepasst.
Frau C. wird kein Buch übers Schwingen schreiben. Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil sie einer Familie entstammt, wo der Esstisch unter erschwungenen Preisglocken und -treicheln mit bestickten Lederriemen stand und man andauernd über eine Sporttasche mit feuchter Schwingerwäsche stolperte.

In einigen Berner Schulen hat sich der Elternrat bereits für „Schwingen statt Peace-Maken“ eingesetzt.
Endlich muss doch Schluss sein mit der feminisierten Schule!

Frau C. wünscht König William Kilian I.
alles Gute und besonders eine liebe Frau, die ist, wie das Diemtigtal.

Neuer Ausblick

Neuer Ausblick

Nach sechzehn Jahren verlasse ich das Büro im engen Altstadthaus mit der Wendeltreppe. Nicht nur die einzigartige Beleuchtung, der Blick auf die Gasse, die Touristenströme aus aller Welt, die Marktstände, die Strassenmusik und die Fasnachtsumzüge werde ich vermissen. Es wird unter meinem neuen Bürofenster auch keine Beizentische mehr geben mit Gästen, die, ohne es zu wissen, mir die persönlichsten Sachen erzählen. Als Mithörerin habe mich immer diskret verhalten, mich nie aus dem Fenster gelehnt um von oben in die Gespräche einzugreifen, obwohl ich zu diesem oder jenem schon etwas hätte sagen können.
In der langen Zeit in diesem Haus bin ich ein Teil davon geworden, versuchte immer, etwas zu verbessern oder noch hoffnungsloser: etwas zu verschönern. (Die Türangel quitscht seit Tagen erbärmlich nach Öl).
Nun ziehe ich mit Tastatur, Telefon und Maus über die Strasse ins neue Büro im Haupthaus, von mir „Mutterhaus“ genannt. Seit 1794 ist „meine“ Institution dort untergebracht. Aus dem Bogenfenster im dritten Stock sehe ich nun auf ein Dach mit Türmchen und in den Himmel.

Auch Familie Hausmeister zieht an diesem Wochenende um: vom 14. in den 12. Stock in eine grössere Wohnung. Gerade hat die Familie 40 weisse Frotée-Waschlappen mit dem Signet „Westside“ geschenkt erhalten. Zum Glück gibts ab Sonntag mehr Platz im Schrank, und ein Weisser Elefant dieser Art kann ja gut geteilt werden;-)

Aus meinen Feriennotizen (31/07/10) zu einer aktuellen Nachricht:

Wenn in den letzten Julitagen zur Fête de la Madeleine* die Stiere durch die Strassen getrieben werden, in den Courses Camarguaises die regionalen raseteurs um die Goldene Palme kämpfen und eine Corrida der nächsten folgt, dann kümmert sich auf dem Delta niemand mehr um die internationale Politik. (Auch die Fussballschlappe wird mit dem Gruss „Viva Espagna“ anstelle von „Bonjour“ lässig abgetan, schliesslich hat OM gegen Catagna 2:0 gewonnen.)
In mindestens 15 regionalen Arenen werden Ohren abgeschnitten, sowohl von ausländischen, als auch von einheimischen Matadoren. Heute eröffnet der Newcomer Alberto Aguilar, noch ein richtiges Bubi, die Fête in Beaucaire. Im regionalen Käseblatt lese ich: „Le chant des cigales unterstützt den Rhythmus des linkshändigen Kampfes mit dem Stier“. Der Toro erhält zu Beginn drei Speere von den Picadores verpasst. Das Tier stammt aus der Zucht von Antonio Lopez Gibaja. Antonio liefert für diese Eröffnungs-Corrida 6 Stiere: 590, 530, 520, 540, 585 und 575 Kilo schwere Prachtstiere. Das sind 3340 kg Fleisch für die Armen und 2 Ohren für Albertli.

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Ja, ich weiss, bin mit euch völlig einverstanden: ich sollte mich nach den Ferien endlich wieder einklinken. Danke für die netten Mails und höflichen Anfragen „en passant“! Dass ich wieder einmal etwas über die „dark side“ des Blocklebens schreiben, statt mit Heilewelt-Garten-Kindergeburtstags-Familienfest-Ferienbildern kommen soll, finde ich auch.
Nur, Entsch … : Im Moment läuft das Zusammenleben im Block gut. Die Ferienvertretungen in Haus (Sül), Garten (Marwa und Sül) und Balkon (Caroline) haben bei Hitze und Sturm immer das Richtige getan, so dass wir auf dem Rhone-Delta alles „gsorget“ geben konnten. Herzlichen Dank!
(Hier wären jetzt einige Fötis von Haus, Garten und Balkon fällig, aber ich will ja nicht zu „heil“ wirken).
Auch im Quartier scheint leider alles im Moment in geordneten Bahnen (bald neuen Tramschienen) zu laufen.
Obwohl:
Einer in grauem Trainingsanzug und Kapuze, maskiert mit dunklem Schal, versuchte vorgestern hellichten Tags eine junge Frau ihres Geldes zu berauben. Und das ausgerechnet neben dem Kleintierzoo des Quartiers, wo Geisslein lustig auf Steine klettern, Zwerghühnchen scharren und Lamas sich langweilen, während sie den nächsten Mist für unseren Garten produzieren. Der Räuber hat die Rechnung ohne einen Passanten gemacht, der ihn mit einem stechenden Blick in die Flucht schlug („Bund“ von gestern). Die nichtbestohlene junge Frau lud den Retter zu einer heissen Ovomaltine ins „Kafi Tscharni“ ein, was halt, sorry, die Welt wieder ein bisschen in Ordnung brachte.

Ich kenne mich: die Fötis werden nachgeliefert!