Januar 2012


Nachdem nun auch die neue Post-Chefin eine rote Brille trägt, verleiden mir Nasenvelos in dieser Farbe endgültig, sie hängen mir sozusagen zum Hals heraus, mag sie nicht mehr sehen an den „Frauen über Vierzig“. Das Blöde ist, ich trage selber so etwas Rotes, eine Designerbrille der Marke Bellinger, ein Modell, dem ich in fünf Jahren nie begegnet bin. Ich mache mich auf zum Optiker – nicht zu dem, bei dem man schon viel früher im Leben hätte kaufen sollen – fest entschlossen, etwas Oberschlichtes auszuwählen, so zeit- und farblos wie nur möglich, nichts Schwarzes und keinesfalls etwas aus Horn, wofür ja in der momentanen eyewear unzählige Wasserbüffelhörner verarbeitet werden. (Ist der Nachschub aus Pakistan überhaupt gewährleistet?)
Item, meine Augen werden vermessen und
anschliessend serviert mir der Optiker
nach einem Espresso mit Glas Wasser
ein Tablett Brillenfassungen.

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Frau Fauser sitzt im Tram neben mir. Sie hat ein Rubbellos gekauft und schabt nun Feld für Feld mit einem Geldstück auf, wischt den Leim von der Hose und erzählt mir, dass sie heute am Bahnhof erwischt worden sei. Die Busse werde ihr dann per Post zugeschickt. Sie habe alles versucht, aber die Polizei habe auf stur geschaltet. Dabei habe sie, Frau Fauser, vor dem Einsteigen den ihren doch nur auf den Haufen von tausend weiteren Zigarettenstummeln geworfen. Just in dem Moment seien sie gekommen und hätten die Personalien genommen: „Die vorderen Tausend kamen natürlich ungeschoren davon.“ Frau Fauser rubbelt die letzten Felder auf – leider kein Sofortgewinn. „Wäre ja zu schön gewesen. Und erst noch vierzig Franken weniger für neue Zigaretten.“

Zufrieden gehe ich nach Hause (wo auch ständig Zigis, Unterhöschen, Wattestäbchen, dreckige Taschentücher vom Hausmeister zusammengefegt werden müssen). Endlich weiss ich, dass Littering-Übeltäter und -innen in dieser unserer schönen Stadt tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden. Und wenn Frau Fauser nun wirklich durch Schaden klug wird, besteht die Möglichkeit, dass wir 2012 für die Strassenreinigung statt 20 Mio Franken nur 19 Mio 999’995 ausgeben müssen.

In Seidenpapier in den Keller

Ehrlich gesagt, der Einstieg in blogk fällt mir nach so langer Zeit der Abwesenheit nicht leicht. Mit allem bin ich im Verzug. Dreikönige wäre eigentlich der Stichtag zum Abbrotzen (berndeutsch: abräumen, abschmücken) sämtlicher Weihnachtdekorationen. Aber erst vorgestern wickelte ich Heiliges Paar, Heilige Heerscharen, Heilige drei Könige, Ochseselschaf und sechzig weitere Figuren (vierzig davon provenzalische Santons) in Seidenpapier und verstaute sie in der Tiefe von Grossvaters Trögli. Mit Schaudern dachte ich an Tante Milla, sagte auch dem Baumschmuck hurtig ade. Bereits anfangs Dezember hatte ich mich im „Chat noir“ mit Weihnachts-Neujahrskarten eingedeckt: eine für Karl, die für Hans und Lina, diese für Familie Michel, für Margrit, für Tante Ruthli, für Christian und seinen Hund und für Caroline und ihre Katze. Hatte wunderschöne seltene Weihnachtsmarken einer Kollegin abgekauft, bereits im Oktober, aber nun ists zu spät, der Stichtag für gute Neujahrswünsche sei passé – und ab jetzt nur noch das Gegenteil.
Ausreden für solch massive Verspätungen sind vorhanden.

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sind rührend. Der vis-à-vis, der sich – benebelt vom Alkohol – vor unserer Tür aufbaute, so gut es eben ging und bekannte, es sei so, so schade, dass wir ausziehen, ich sei eine „so, so gueti Frou“. Die langjährig befreundete Makedonierin, die vorbeikam und sich gleich zweimal entschuldigte: „Für alle meine Fehler, die ich gemacht habe in diese ganze Zeit, wo wir wohnen zusammen.“ Und: „Dass ich bin krank und bin mit meine Enkel die ganze Zeit und kann nicht dir helfen mit Zügel.“ Und die Schweizer Nachbarn, die einerseits etwas ungehalten und andererseits auch verständnisvoll sind und immer wieder betonen, wie wichtig wir für den ganzen Block und den Quartierverein gewesen seien. Die siebenköpfige Familie aus dem 8. Stock, die sehr gerne unsere Wohnung übernähme und für dich ich deswegen der Verwaltung gschrieben hatte, die bedankte sich so überschwänglich, dass es mir peinlich war,. Ich fürchte, sie überschätzen meinen Einfluss enorm. (Und wenn die Verwaltung hier kompetent wäre, sähe vieles anders aus.)

Natürlich ahnen die Leute, dass wir auch wegen des Zustandes, in dem unsere Blöcke und Wohnungen sind, wegziehen. Aber darüber reden möchte ich mit ihnen nicht. Denn die meisten müssen ja hier bleiben, um ihre verschiedenen Heimaten, ihre versprengten Familien und deren teilweise grotesken Ansprüche mit ihrem Einkommen zu finanzieren. Ich sage deshalb allen, wir zögen zu der Verwandtschaft von 2nd, male. Das stimmt (zufällig, wir haben uns auf eine normal ausgeschriebene Wohnung beworben) und vor allem versteht das jeder hier gut.

Auch wenn ich nicht weit weg sein werde, werde ich die Leute von hier im Alltag vermissen. Mir ist die Nachbarschaft sehr wichtig und wie ich gestern gemerkt habe, auch 3rd, male. Wir sassen in der Quartierpizzeria und 3rd meite, nachdem er mit ein paar Alkis geplaudert hatte, dass er sich die neue Nachbarschaft schlecht vorstellen könne. Er kennt nur die Namen von den Einträgen im Waschküchenbuch, das ohnehin viel sauberer und ungebrauchter aussieht als unseres. 3rd ist hier aufgewachsen, er kennt x-silbige Familiennamen, spanische Trippelnamen und eine Menge „ics“ und „itis“. Es reut ihn ein wenig, nicht mehr zwischen den Welten zu wechseln, sondern im Schulalltag und Wohnalltag eine ähnliche mittelständische Umgebung zu haben. Mir geht es genau so.

Aber eigentlich wissen wir ja bloss, wie’s war mit den alten Nachbarn und nicht, wie’s wird mit den neuen.

Wenn ich durcheinander bin, kommt es oft vor, dass ich aufräume. Der Trick funktioniert seit meiner Kindheit: Äussere Ordnung verhilft zur Inneren. Heute abend waren die Büro-Billys an der Reihe. Dabei fand ich ein altes Dokument, welches aus irgendwelchem Grund bei mir archiviert blieb:

Der Aufsatz von Labinot zum Thema

Aussenraum – Innenraum

Geschrieben am 5. November 1999

„Ich denke so: Jetzt bin ich 9. Kl. und ich kenne die Deutsch Sprache nich gud, ich musst hir noch ein jahr bleiben und die Sprache gud lernen. Die Eltern mir sagen, du musst schule weiter gehen, gimnasium u.s.w. aber ich bin in Real schule un von hir kann man nicht schule weiter gehen. Ein jahr spöter ich musst wider nach Kosovo zurük, und schule weiter gehen in gimnasium 2 Kl. und ich dencke eine gute beruve zu haben z.b.s. Jurist, so dencken auch meine Eltern.

Zwei jahre früher ich bin in Kosovo gewesen, in meine Dorf (Drenovc) im Juni 1998 nachmitg die Serbische Armee gekomt und Drei Tage Krig gemacht mit UçK, und ich geschlofe in ein Keler, und mein Vater in Krig gewesen. Naher ich mit mein Bruder Ein Tag gelaufen nach Peja.“