Juni 2013


Schon wieder bin ich unpassend angezogen. Kaum aus dem Haus, bläst mir ein kalter Wind um die Ohren und über dem Gurten hängen schwere Schneewolken. In kurzärmligen Shirt, Seidenjupe und Riemchensandalen sitze ich im Tram neben Leuten in Fleece-, Wind- und Strickjacken und passe auf, dass sie mir mit den schweren Stiefeln nicht auf meine rot lackierten Zehnenägel treten. Beim Ängelibeck in der Schwanengasse ist Grossansturm auf den dampfenden Mittagssuppentopf. Ich kaufe einen kleinen Schoggikuchen und hoffe, dass der Nieselregen die Tüte nicht total einweicht. In der Langen Gasse steige ich aus dem Bus und eile ins Beaulieu. Der Kastaniengarten ist verwaist. Drinnen sind alle Tische besetzt oder reserviert. Ein grosser Teil des Berner Business scheint hier zu speisen. Unglaublich, wie laut es in Stuben und Kleinen Sälen wird, wenn sie mit Männern gefüllt sind. Mit einer Freundin esse ich in der Erlachstube unter dem Ölgemälde, welches eine blasse namenlose Frau aus der Patrizierfamilie darstellt. Die Karottensuppe lässt nicht lange auf sich warten und passt wunderbar zu dem kühlen Herbsttag vor dem Fenster.
Auf der Heimfahrt bricht die Sonne durch die Wolken, so dass ich noch ganz schnell einen Abstecher in den Garten mache, um den Pflanzen gut zuzureden, ein bisschen zu wachsen. Die Braven tun ihr Bestes und sind dankbar für jeden Hühneraugenblick von Sommer.

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Vor Vollmond II

23.06.01:42:48

Tous les plus éminents savants de la terre
Pensent qu’elle est faite de roche et de pierre.
Mais, il ne faut pas croire ces bonimenteurs
La lune est une crêpe au beurre. Yeah !

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Wir sitzen bei Rindfleischsalat nach Vorhersuppe und Appenzeller Bier auf der Terrasse. Sie nimmt ein paar Lottoscheine aus ihrer unergründlichen Tasche. „Die müssen wir unbedingt heute ausfüllen, es sind Millionen im Jackpot. Sag sechs Zahlen von 1 bis 42.“ Ich habe so keine Ahnung von Lotto. Nie hätte ich nur die geringste Hoffnung, einen Fünfliber zu gewinnen, geschweige denn ein paar Millionen in meinem Kopf zu verteilen. Nicht so die grosse Optimistin in meiner Familie. Sie rechnet mit 5 Millionen. Eine Million behält sie für sich, kauft damit eine Eigentumswohnung mit See- und Bergblick, voraus planend natürlich Rollstuhl gängig. Das Geld würde noch für einen „Camper“, ein Wohnmobil, reichen – ein Lebenstraum der Reiselustigen ohne Fahrausweis. Die zweite Million bekäme ihre geliebte und vernünftige Tochter Sanne. Die wüsste etwas Gutes damit anzufangen. In den Genuss der dritten Million käme die arbeitslose Nachbarin Iris mit ihren zwei gefitzten Buben, beide von afrikanischen Vätern. Mutter und Söhne wären dann einige Zukunftssorgen los. Dazu hat die Frau einen Fahrausweis und könnte, wenn sie möchte, die Sponsorin im Camper ausfahren. Die vierte Million wäre für Käthi und Fred. Einfach, weil sie langjährige liebe und zuverlässige Freunde sind und mit der Lottospielerin die Begeisterung für die Insel Elba teilen. Ausserdem haben Käthi und Fred einen Fahrausweis und würden den Camper auf jeden Fall chauffieren. Die fünfte Million – ich war einen Augenblick baff – sollte an mich gehen. Kaum zu glauben, wie schnell man eine Million ungeübt verteilen kann! Meine ist im Nu ausgegeben.
Während der Bauer Stöffu neben der Beizenterrasse sein Heu wendet, wähle ich niesend die nötigen Zahlen aus. Meine Schwester Rosy macht die Kreuzchen, entschliesst sich, der grösseren Gewinnchancen wegen, für zwei Ziehungen.
Am Mittwoch hats nicht geklappt, aber morgen wartet uns allen sicher das Glück.

Draussen schlafen
Nach Norden

Süeden
Nach Süden

Die vergangene Woche verbrachte ich hauptsächlich im Garten. Ich legte die Beete neu an, band die Himbeeren an die Stöcke, verteilte Kompost, rückte dem Unkraut zuleibe, trug Schnecken hinters Gartenhaus, zügelte die Dahlien vom Frühbeet ins Freie, pflanzte Fenchel, Lattich, Lauch, Kohlrabi und redete, wie jeden Frühling, mit den Leuten durch den Zaun. Das Hauptthema war das Wetter, über welches man nicht klagen wolle angesichts der schrecklichen Überschwemmungen in unserem Nachbarland.
Schon lange hatte ich vor, den Balkon, eigentlich nur ein Balkönchen, zu streichen und so einzurichten, dass ich draussen schlafen kann. Obwohl es keine Dachterrasse mehr ist, wurde es dann doch richtig schön, dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Innenarchitektin der Familie. Das frühere Grau der Mauern kommt nur noch als Streifen vor. Bald sollte das Rosenbümchen voller Blüten sein und so bestens zum Bettbezug passen. Noch ein paar Tage Sonne und Glockenreben und Efeu werden sich ranken und winden. Ich liebe es, hässliche Plätze zu verschönern, vergesse dann oft, das Verschönerte zu geniessen. Heute habe ich den „neuen“ Balkon der Liegewiese im Schwimmbad vorgezogen. Danke aber für die zahlreichen lieben Grüsse, die mir meine angebadete Familie von dort mitbrachte.

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Nicht nur wilde Kerle

Gesammelt ab 1969

„Du hast alles“, wiederholte die Pflanze.
Jennie nickte nur, die Schnauze voller Blätter.
„Warum gehst du fort?“
„Weil ich unzufrieden bin,“ sagte Jennie und biss den Stengel mit der Blüte ab.
„Ich wünsche mir etwas, was ich nicht habe.
Es muss im Leben noch mehr als alles geben!“
Die Pflanze sagte nichts mehr.
Es war ihr kein Blatt geblieben, mit dem sie etwas hätte sagen können.

Aus: Sendak, Maurice: Higgelti Piggelti Pop!, Zürich : Diogenes Verlag, 1969

Gestellte Entführung

Foto 2nd2nd, male: Gestellte Entführung eines der letzten Wäschewagen

Immer wieder verschwinden in unserer Waschküche die fahrbaren blauen Wäschekörbe. Statt sie nur in der Waschküche und in den Trockenräumen zu benutzen, werden sie in die Wohnungen mitgenommen, was in einem Block ohne Schwellen und Treppen einfach ist. Das Fehlen dieser Körbe ist dann auch immer ein wichtiges Waschküchenthema und ein ewiger Grund zur Klage beim Hausmeister. Er ist natürlich schuld, dass solche Entführungen überhaupt statt finden können. Wäre er mehr in der Waschküche, auch Samstags, wos für die Körbe am Gefährlichsten ist, würden jetzt nicht wieder drei Stück fehlen. Eigentlich sollte er auch nach dem Nachtessen eine Korbschutzrunde drehen oder vor dem Frühstück. Immerhin ging der Hauswart heute auf die Suche, mehr, um die schäumenden Gemüter der Wäscherinnen zu beruhigen. Er läutete bei allen, die laut Terminliste gewaschen hatten, bevor die Zainen verschwanden – vergebens.
Der Hauswart hat zwei Fotos geknipst. Eins mit dem Wagen vor der Waschmaschine, das andere mit dem Wagen vor dem Lift. Ihm schwebte einen Moment lang ein Plakat für die Waschküche vor, auf welchem der Korb vor dem Lift mit einem schwarzen Kreuz durchgestrichen ist.
Als ich meine Hilfe anbot, meinte er: „Eigentlich sind mir die Wagen egal. Irgendwann werden sie wieder zurück kommen, denn sie werden ja überall erkannt. Ausserdem habe ich als Kind lange genug Kühe mit einem Stock gehütet. Waschkörbe mag ich keine hüten.“

Während den Sommerferien wird es wieder krass, da könnten alle zehn Körbe fehlen. Nach den Ferien wird sich die Schweizer Wäscherinnen-Minderheit beim Hauswart heftig beklagen über seinen laschen Stellvertreter, die verwilderten Waschküchensitten mit nicht eingehaltenen Waschplänen, nicht pünktlich geleerten Waschmaschinen und Trockenräumen, zurückgehaltenen Trockenraumschlüsseln und über die kosovarische Waschfrauen-Mehrheit, welche für drei Wochen die Herrschaft über die Waschküche an sich gerissen hätte und die einem den Verleider mache, im Block zu wohnen. Aber nun ist der Hauswart ja wieder da. Braungebrannt und erholt wird er die Wogen nach und nach glätten, obwohl er an der ganzen Misère auch ein bisschen Schuld hat, denn schliesslich ist er in die Ferien gefahren, statt in der Waschküche die Körbe, die Schlüssel und die Pläne zu hüten.