Ihr Hirn sei nicht mehr gut, ruft die alte Frau – eine Migrantin aus der ehem. Tschechoslowakei – uns zu, als wir sie beim Spaziergang durch das Quartier überholen. Es bedürfe einer permanenten Überprüfung. Sie gehe laufend die Teile ihres Gehirns durch – sie beschreibt mit ihrer durchsichtigen Hand einen Kreis über ihrem weissen Haar – und ermittle, welcher Teil noch funktioniere. Die Diffential- und Integralrechnung, die sei noch ganz fest – sie krallt die dünnen Finger an ihren Hinterkopf – verankert. Aber die lateinischen Buchstaben, die seien weg. Sie könne nur noch gotische Schrift lesen, die, die sie nach dem zweiten Weltkrieg gelernt habe: „Für meine Enkelkinder bin ich eine An-al-pha-bet-in!“

Sie solle doch mit ihnen rechnen und zeichnen, das reiche bei Weitem, antworte ich. Ja, ja, im Zeichnen seien sie gut die Enkelkinder, sie dokumentierten damit gern die streitenden Eltern. Sie seien sehr genau im Zeichnen, man sehe, wie Vater und Mutter sich anschreien und die Mutter sei dabei „oben ohne“, aber sie finde das nicht unmoralisch. Auch die Zeichnung mit diesen Skalpen gefalle ihr. „Terrror“, das müsse sie immer wieder erklären, „das ist das Hauptwort. Und terrorisieren ist, was gemacht wird.“