Beim Einkaufen treffe ich meine ehemalige Schülerin Aliva. Sie wohne nicht mehr im Quartier, sei ans andere Ende der Stadt gezogen, um Distanz zu Familie und Verwandtschaft zu bekommen. Vor dem Umzug habe sie den Eltern noch die Arzttermine organisiert, ihnen die Bus- und Bahnabonnemente erneuert und Winterkleidung eingekauft. Sie habe Vater und Mutter auch gezeigt, wie sie mit dem Postauto Alivas Bruder auf dem Land besuchen können. Ahmed sei mit Frau und Kindern in ein Dorf gezogen. Er wolle nicht, dass seine Kinder mit lauter Ausländern in den Kindergarten gehen müssten. Auf dem Land seis in dieser Hinsicht besser, wenig Ausländer und im Gegensatz zur Stadt, alte erfahrene Kindergärtnerinnen.
Aliva habe sich zurück gehalten und dazu nichts gesagt. Es sei dann aber doch noch zu einer Auseinandersetzung gekommen, als sie sich weigerte, ein Papier für Verwandte zu unterschreiben. Demnach wäre sie die Tagemutter der verwandten Kinder, und ihr „Gehalt“ könnte von den Steuern abgezogen werden. So etwas möge sie nicht machen, habe sie nie gemacht und sei damit gut gefahren. Nie hätte sie die geringsten Probleme mit Behörden gehabt. Nun brauche sie, Aliva, etwas Ruhe. Im Heim, wo sie arbeitet, waren in den letzten Wochen viele Pflegekräfte krank und sie hatte als ausgebildeten Fachfrau einige Zusatzdienste zu leisten.
Im Sommer waren ihre beiden Söhne zu Besuch in der Schweiz, zum ersten Mal nach ihrer Entführung. Es gefiel ihnen nicht besonders hier. Sie waren die vielen Regeln nicht gewohnt, die es hier zu befolgen gibt. Dagegen sei das Leben in einer Hauptstadt im Nahen Osten unendlich viel freier. Auf dem Gymnasium lernen sie neben Arabisch auch Französisch. Aliva möchte, dass sie später einmal in der Suisse romande studieren können, einer Musik, der andere Mathematik.
Sie selber macht immer wieder Weiterbildung in ihrem Beruf. Sie wird von den Kollegen und den Patienten geschätzt – mehr, als von der eigenen Familie.