Als ich ein Kind war, waren wir – für damalige Verhältnisse – noch immer arm. Doch wir buken vor Weihnachten. Natürlich Lebkuchen. Meine Mutter beauftragte mich und meine Pflegeschwestern, die unterschiedlichsten Schablonen mit einer spitzigen Nadel aus Karton zu stanzen, denn schneiden war ihr nicht genau genug und schulte unsere motorischen Fähigkeiten in ihren Augen nur ungenügend.

Wir legten die Schablonen auf den ausgewallten Teig und fuhren mit einem Schnitzer ihrem Rand entlang. Nur von Mutter abgesegnete Formen durften verwirklicht werden, es galt unter allen Umständen zu vermeiden, dass ein zu dünnes Katzenbein im Ofen verkohlte.

Und weil meine Eltern – als erste Generation mit Arbeit in der Stadt – doch ein wenig mehr als gar kein Geld hatten, reichte es sogar für die Dekoration. Wir kauften eine Tüte Puderzucker. Den rührten wir schrittweise mit (ja nicht zu viel!) Wasser an und machten daraus echte Glasur. Diese füllten wir in erschnorrte Plastiksäcke (welche zu dieser Zeit gerade neu in Mode gekommen waren) und schnitten mit einer Nagelschere einen klitzekleinen Teil der unteren Ecke ab. So entstand unser Spritzsack. Und wenn uns einmal eine gnädige Verwandte eine Flasche Himbeersirup geschenkt hatte, rührten wir einige Tropfen davon in die Glasur, damit sie rosa wurde. Wir verzierten kunstvoll die verschiedenen Lebkuchen, natürlich dem Empfänger individuell angepasst.

Die trockenen Kuchen packten wir in das Papier, in dem wir – oder sonst jemand – unsere letzten Geburtstagsgeschenke bekommen hatten. Ein Bändeli aus dem Ausschuss der Leinenweberei, ein anderes aus Wollresten des letzten Gilets, das 1st uns gestrickt hatte, und fertig waren die originellsten Geschenke weit und breit.

Was für uns an Teig oder kaputten Kuchen übrig blieb – davon ist mir bestimmt nicht schlecht geworden. Dafür machte uns 1st nach Weihnachten ein „Memory“ aus den Geschenkpapierschnipseln, in die man beim besten Willen nichts mehr einwickeln konnte, schon gar nicht die Lebkuchen vom nächsten Jahr. Und wir haben es immer noch, das Memory.

Die Moral? Meiner Grossmutter liebstes Bibelwort: Geben ist seliger denn Nehmen. Und meiner Grossmutter liebstes Familienwort: Mach aus der Not eine Tugend.

(Unnötig zu erwähnen, dass damit auch ein gewisser Druck auf uns entstand, aber bis jetzt haben wir uns zu helfen gewusst. Ich zum Beispiel delegiere das Backen an den besten Hobbybäcker an meiner Seite, wovon auch meine Schwester profitiert. Und meine Cousine hat sogar den Weltmeister der Konditorei zum Mann. Allerdings hat er sich den Titel – das gesteht er unumwunden – nur mit ihrer fachlichen Hilfe geholt. Der Wettbewerbsbeitrag Eistorte im novemberlichen Australien war nämlich eine echte Herausforderung.)