Es ist 23 Uhr. Zusammen mit einer Nachbarin, die gerade ihren Spätdienst im Pflegeheim beendet hat, steige ich aus dem Bus. An der Haltestelle wird sie von Ehemann und Schwägerin abgeholt. Als ich zu meinem Block abbiege, bietet sich der Mann an, mich zu begleiten, denn um diese Zeit sei es nicht mehr angebracht, als Frau allein unterwegs zu sein. Als „Mosslem“ könne er das nicht akzeptieren. Ich bekomme einen Lachanfall und sage, dass ich in meinem Leben schon Schwierigeres bewältigt hätte, als hundert Meter allein zu gehen, z.B. einige Kinder gross ziehen. Das gefällt ihm gar nicht. Ich müsse wissen, dass bei den „Mosslems“ die Sache umgekehrt sei. Da habe man Respekt gegen oben zu den Alten. Er hebt den Arm über seinen Kopf. Wir hier in der Schweiz hätten Respekt nur gegen unten zu den Kindern. Er geht in die Knie: so tief unten sei unser Respekt. Das ist mir dann doch zuviel, und auch ich beginne zu zeigen, wohin mein Respekt reiche: nach oben, nach unten, zu ihm und zu mir.
„Ausserdem bin ich schon zu Hause. Das hier ist mein Vorzimmer.“ Ich zeige auf die Strasse mit den Herbstblättern und den zerfledderten Gratiszeitungen:
„Zwar ein bisschen schmutzig, aber ich warte auf den nächsten Windstoss.“
Endlich gibt der Mann auf, denn verrückte Frauen muss ein „Mosslem“ wirklich nicht begleiten.