Während des Jahres bleibt mein Quartier pressemässig ziemlich vergessen. Es kann sein, dass wir in einer Statistik zu Jugendarbeitslosigkeit/Sozialhilfe auftauchen oder die Webcam von Westside erfasst uns in ihrem Auge am Rande. Auch wenn Mister Libeskind einfliegt, um bei der Geburt seines ersten Einkaufszentrums kurz dabei zu sein, kommt der Block meistens mit aufs Bild.
Meine Arbeitskolleginnen und -kollegen nehmen in der Kaffeepause die Zeitung zur Hand und sagen: „Merci schön, da möchte ich nicht wohnen.“
Wenn ich dann mit der Bleistiftspitze auf den 13. Stock zeige, schauen sie mich ungläubig an.
Alles wird schlagartig anders in der Adventszeit. Man möchte in der Zeitung etwas Weihnächtliches bringen, das einem kurz das Herz erwärmt, etwas über Leute, die sich vertragen und welche trotz ihrer „fremden Kulturen“ die christlichen Feiertage so gestalten, dass eben das „Fremdeandere“ darin Platz hat. Beliebt bei den Zeitungsleuten sind Muslime, die Weihnachten feiern, sogar bei den Vorbereitungen zum Fest tatkräftig mithelfen wie den Stern über der Bäckerei aufzuhängen, den besten Weihnachtsbaum in der ganzen Stadt zu suchen, am Morgen früh aufzustehen, weil das Kind ungeduldig vor dem Adventstörchen wartet.
Der kluge Journalist macht sich früh im Dezember auf die Socken, um mit den Bewohnerinnen und Bewohnern im Quartier Kontakt aufzunehmen. Er zeigt nicht, dass er in Eile ist, hört sich auch Geschichten an, die er im Moment nicht braucht und schreibt dann etwas, das für alle verständlich ist.
Es gibt aber auch solche, die versuchen, kurz vor dem Fest „passende“ Familien zu finden, die sich zur persönlichen Gestaltung des Christfestes interviewen lassen (mit Foto). Der Erfolg ist gleich null, niemand will etwas sagen, auch die freundlichen Tamilien nicht.
Als mein Handy mit einer unbekannten Nummer klingelt und sich eine Frau in Hochdeutsch vorstellt, denke ich an eine Lotto-Gesellschft in Frankfurt. Zuerst frage ich nach, wie die Anruferin zu meiner Nummer kommt. Aha, das ist die Journalistin, welche mich besuchen möchte. Ich bin ihre letzte Hoffnung. Ja, sie darf kommen. Allerdings wird meine Familie um diese Tageszeit nur klein sein, da alle berufstätig sind, aber zur grossen Erleichterung der Zeitungsfrau sind wir ein bisschen gemischt, dank meinem Schwiegersohn mit den kosovarischen Wurzeln.