Heute bringt Albert seine Gedichte mit. Die Blätter liegen in einem trüben Sichtmäppchen. Sie sind vergilbt, fleckig, aber die Zeilen sind regelmässig, die Buchstaben schwungvoll. „Halt meine junge Schrift“, meint der alte Mann.
Vor 70 Jahren hat er alle Gedichte aufgeschrieben, „so zur Sicherheit“. Eigentlich braucht er die Blätter nicht, denn er weiss noch alle auswendig: Claudius, Schiller, Uhland, Lenau. Der Kaffee wird kalt. Albert hat die Augen zugekniffen und rezitiert Strophe für Strophe. Im Ofen knacken die Eibenscheite, meine alten Eltern hören zu, nicken ein bisschen mit den Köpfen: „Ja, ja, früher musste man schon als kleines Kind immer nur wärchen, aber die Gedichte kamen in den Kopf und blieben da. Weiss der Gugger wie.“ Sie gingen auch im Mitlitärdienst nicht verloren, als Albert im Jura des Nachts Wache stand und „am Morgen den Rauhreif aus den Stiefeln schüttelte“.
Aus dem blinden Mäppchen nimmt er einen Brief vom 27. Januar 1939. Seine Mutter schreibt ihm, dass sie zum Geburtstag leider keine Schokolade schicken könne, denn es gäbe im Dorf keine zu kaufen. Auf der hinteren leeren Seite, hat der junge Soldat ein Schmähgedicht auf Hitler und seine Entourage notiert, welches er auf einem holländischen Radiosender gehört hatte.
Dieser brachte auch „Lili Marleen“. Gerne hätte er nach dem Krieg einmal das
„Hotel de la Gare“
aufgesucht. Das hat leider nicht geklappt.
Übrigens: die zahlreichen Medaillen, Pokale, Urkunden, die er sich in all den Jahren an den Schützenfesten landauf landab „herausgeschossen“ hat, sind ihm heute richtig zuwider.
So, jetzt will er sich auf den Heimweg machen. Die Katzen müssen gefüttert werden und ausserdem sollte er noch ein bisschen darüber nachstudieren, welches Gedicht er nächste Woche vortragen könnte.