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Gebrauchsdesign

Die elterliche Wohnung zu räumen ist schmerzlich, weil endgültig. Der „Nachlass“ kann aber auch überraschen und erheitern. So wie diese drei alten Einkaufskörbe der Migros. Sie sind nicht nur Familien-, sondern auch ein Teil schweizerischer Wirtschaftsgeschichte.
Zu einer der grössten Sünden, die man in meiner Kindheit auf dem Land begehen konnte, gehörte das Einkaufen bei der Migros. Das war in den Augen der Dörfler so verwerflich, wie der Besuch von Versammlungen des Evangelischen Brüdervereins. Meine Familie tat beides und hatte, als wir in den Fünfzigern in die Hügel des Langen Berges zogen, einen schweren Stand. Dem Brüderverein gingen wir schon vor vielen Jahren verloren, beim Orangen Riesen kaufen wir noch heute ein. Die beiden Onkel Hans und Werner arbeiteten nach dem Zweiten Weltkrieg als Verkaufswagenfahrer für die noch junge Genossenschaft. Das war in diesen Jahren ein abenteuerlicher Beruf, so richtig gemacht für wilde Burschen. Der Widerstand gegen die fahrenden Läden war gross und Hans und Werner erzählten uns Kindern, wie sie von Bauern mit Heugabeln und Sensen davon gejagt wurden, wie man ihnen den Standplatz verbarrikadierte und sie verspottete und beschimpfte.
Vater und Mutter blieben bis zu ihrem Tod Genossenschafter der Migros. Ihren Anteilschein von 10.- Franken können wir einsenden und es werden uns die 10 Franken zurück erstattet.

Die Körbe:
1. Kleiner Drahtkorb mit Leder überzogenem Henkel aus dem Jahr 1948. 2. Drahtkorb gespritzt in den Firmenfarben mit Kunststotff überzogenem Henkel, stapelbar, sechziger Jahre! 3. Plastikkorb, Verbindungshaken aus Draht, achziger Jahre. Heute

Meine Eltern halfen, wo sie nur konnten, dabei waren ihre Mittel als Kleinpächter äusserts begrenzt. Trotzdem gabs bei einigen Hilfsaktionen böses Dörflerblut. Als meine Mutter für ein Schulklavier weibelte, damit die Lehrerin den Gesang der Bauernkinder begleiten konnte, waren alle dagegen. Ein kleines Nest wie Multigen brauche so etwas nicht. Mutter schrieb nach getaner Feldarbeit einige Briefe, und als der (im Dorf verhasste) Orange Riese eine grosszügige Spende tat, wurde das Klavier gekauft. Die Eltern scheuten sich nie, wenn nötig auch „fremden“ Kindern Vater und Mutter zu sein und liebten diese wie die „Iigete“ (Eigenen). Helfen war nicht nur helfen, sondern „z’Wäg helfen“, so dass jemand schliesslich aus eigener Kraft den Weg finden konnte.
Die Sonntagsschule hätte mir als Kind nicht zugesagt, wäre uns am Schluss nicht das Negerlein vor die Nase gehalten worden. In seinem weissen Hemdchen kniete es auf der grünen Missionskasse. Wir Kinder warfen dann unser Zwänzgi (ich wenn möglich 2 Zähni) hinein, worauf das Negerlein nickte (bei mir zweimal). Allerdings war das meine erste und letzte Spende an „die Mission“. Ich sagte entschieden „Nein“, als mich eine Frau Pfarrer in die Nähgruppe bat, welche für die nackten Heiden Umhänge aus ausgedienten Leintüchern schneiderte.
Bei den möglichsten und unmöglichsten Sachen habe ich in meinem Leben geholfen, wenn auch nur im Kleinen, Lokalen, manchmal mit, aber auch ohne Erfolg. Bei der Fremdenpolizei machte ich mich verdächtig, weil mein Name als Referenz bei der Einbürgerung von jungen Ausländerinnen und Ausländern oft auftauchte. Bei den Personalsitzungen der regionalen Volksbibliothek wurde ich namentlich angehalten, die Mahngebühren „gerecht“ einzuziehen und sie den armen Familien keinesfalls zu erlassen.
Heute ist mir das Helfen ein bisschen vergangen. Ich kaufe ab und zu noch eine „Surprise“ oder sammle den Abfall vor der Eingangstüre auf. Als letzhin die junge Bettlerin mit den Wanderschuhen am Bahnhofplatz weinend an mir vorbei ging, ohne nach Geld zu fragen, tat ich nichts.

Die Jeyarajans habe ich angerufen. Nein, sie wissen nichts von ihren Familien, nein, nein, gar nichts. Es gibt keinen Kontakt und hinfliegen können sie auch nicht, im Moment sind alle Passagierflüge gestrichen.

Sie wissen auch nicht, wie viele Opfer es gegeben hat. Doch sie sind sicher, dass niemand helfen wird, dass nur sie allein helfen können. Sie danken für meinen Anruf, sie gehen jetzt wieder in den Tempel, um zu beten und die Subramaniams und Shanmuganathans und Sriranganathans zu treffen, die vielleicht mehr Nachrichten haben aus der Heimat.

Der Tempel ist jetzt etwas weiter weg, er musste umziehen, die Nachbarschaft hat Unterschriften gesammelt. Alles was Recht ist, aber die Hindu-Feste waren wirklich zu laut. Was sind wir für ein glückliches Volk mit kleinen Katastrophen und grosser, schneller Hilfe und stets ausgezeichneter Information.

Und zum allerersten Mal in meinem Leben empfinde ich tiefes Mitgefühl für alle, auch die, mit denen ich lange Zeit im Integrations-Clinch lag. Zum Beispiel Guga Tarzans Onkel, der dem kleinen Guga die Hand auf die Herdplatte gedrückt und den Unterkiefer zerschmettert hat, wenn er im Kindergartenalter auch nur einen Mucks von sich gab.

Es ist wahrlich nie zu spät.

UPDATE 29.10. 16:29 Uhr: Die Jeyarajans wurden angerufen! Das Haus der Verwandten ist zerstört, aber alle leben und brauchen Geld. Sie wohnten nicht nahe am Wasser. Das Mädchen, das mit mir telefoniert hat, klang, als lachte sie durch den Hörer. Erleichterung ist ein überwältigends Gefühl.