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Obwohl die Tür des Grossen Saales erst um 19 Uhr göffnet werden soll, warten davor schon zahlreiche Mieterinnen und Mieter. Eine alte Frau ist auf dem Vorplatz gestolpert und wird nun von ihren Nachbarn aus der Pfütze wieder auf die Beine gestellt. Es regnet in Strömen, ab und zu rollt der Donner über die Dächer. Alle sind gekommen, um sich über die bevorstehende Totalsanierung unseres Blocks informieren zu lassen. Aufgereiht auf der Bühne sitzen bereits die Fachmänner (Fachfrauen sind nicht vorhanden) für Haustechnik, Betonsanierung, Architektur, Verwaltung, dazu ein junger „Trübel“ mit schmalen Schultern, welcher für sämtliche „Mieterangelegenheiten“ während der zweijährigen Bauphase zuständig sein wird.
Der Redner macht dem eifrigen Getuschel des Publikums ein Ende, indem er den dröhnenden Lärm einer Kernbohrung auf Band abspielt. Zügig und solange das angebohrte Publikum noch Ruhe behält, wird nun powerpointunterstützt „ehrlich und offen“ informiert: Küche elektrisch mit Glaskeramikherd und Geschirrspüler (Klatsch, klatsch von den Hausfrauen). Dann folgt ein (ehrliches) Bild von einer herausgerissenen Küche. Dieser Zustand wird mindestens 5 Wochen andauern: deshalb Verpflegung bei Freunden organisieren, evtl. Abgabe von Kochplatten durch den Hauswart. Anschliessend Bad/Dusche geplättelt (Klatsch, klatsch von den Hausfrauen): Duschen und Bislen im abschliessbaren Kontainer vor dem Block. Herr Meise aus dem Publikum hebt seine Krücke und ruft, dass er pro Nacht mindestens dreimal müsse. Der Redner bittet um Ruhe und rät, die Ferien so zu planen, dass das Bislen in den Griff zu bekommen sei. Eine Attikabewohnerin in den hinteren Reihen verlangt eine Terrassensanierung – Teeren statt Verbundstein, damit kein Unkraut durchstösst.
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Seitdem mein Nachbar pensioniert ist, hat er Zeit, jeden einzelnen Verbundstein auf seinem Balkon zweimal im Jahr zu schrubben. Nun befindet er sich in der Endphase und er hofft, bis zu Weihnachten mit der Arbeit fertig zu werden. Um den Termin einzuhalten, ist er auch nachts am Werken. Im Moment bearbeitet er eine dunkle Ecke, und das Einpassen der sauberen Steine muss quasi blindlings geschehen. Wenn er einen Stein fallen lässt, schreckt man aus dem Schlaf, hört aber anschliessend das beruhigende Kratzen seiner Scheuerbürste. Die Augen fallen einem wieder zu – der Block steht noch und wird erst noch gepflegt – Blockkultur.

Dieser frühe Frühling bringt alles durcheinander. So findet mein erstes Saisongespräch mit meinem Nachbarn nicht wie all die vergangenen Jahre in luftiger Höhe, sondern im Bus statt. Er habe sich früher pensionieren lassen, da es in seiner „Bude“ gerade ein Sonderangebot für Pensionierungswillige gegeben habe. Nun sei er oft im Luzernischen, helfe seinem Bruder mit den Kühen und dem Holz. Das „Heimet“ sei stotzig und die Nichten und Neffen am Studieren. Auch wolle er sich mehr Zeit zum Lesen nehmen. Einmal habe er im „Das Beste“ die gekürzte Version einer Geschichte gelesen. Seit Jahren suche er das Original, sei deshalb schon in einer Buchhandlung gewesen, wo man ihm aber nicht habe helfen können. Er wisse nur, dass die Geschichte „Das Vermächtnis“ heisse.

Handwäsche

Pro Jahr spreche ich viermal mit meinem Nachbarn zur Linken. Ich weiss, das ist wenig, hängt aber keinesewegs mit der vielzitierten Anonymität im Block zusammen. Herr J. kann den Zeitpunkt unserer saisonalen Plauderei selber auswählen. Dazu beugt er sich gefährlich weit über die Balkonbrüstung und erteilt mir Ratschläge, wie ich meinen Balkon klinisch rein und frei von jeglichem Unkräutlein halten könnte.
Auf seiner Terrasse nimmt er jeden einzelnen Verbundstein aus dem Splitterbett, fegt ihn mit Schmierseifenwasser und einer weichen Bürste. Den Splitter schaufelt er in ein Löcherbecken, wäscht die Steinchen einzeln, passt auf, dass er dabei nicht ein Sämchen Unkraut übersieht und setzt das Ganze in nächtlicher Fleissarbeit wieder zusammen. Auch seine Kupfervögel auf dem Geländer pflegt er sorgsam, kontrolliert besonders die Halterungen, denn er möchte nicht, dass jemandem aus 40 Meter Höhe ein Rabe oder eine Wildente auf den Kopf fallen.
Heute kam er zurück von den Kanaren. Es war dort windig und sehr warm.
Aber nun muss er sich wieder ans Steinewaschen machen, ist sichtlich enttäuscht, dass ich seine bewährte Methode der ökologischen Unkraut- und Schmutzvertilgung nicht übernehmen will.
Auf meinem Balkon gibt es ca. 1800 Verbundsteine!