Nach einem erfrischenden Bad im Weiher gibts anschliessend auf der Liegewiese nichts Spannenderes als die magrebinischen Familiengeschichten meiner Nachbarin.

Idris war arm, klein gewachsen, ausgesprochen genügsam, beinmager und fleissig. Am Rande des Marktplatzes hatte er einen winzigen Gewürzestand. Jeden Tag ass er sein Brot mit etwas Olivenöl. Beinahe noch ein Junge, wurde er mit dem schönen Mädchen Fatima verheiratet, das sich im Laufe der Jahre um die acht Kinder kümmerte, während Idris seinen Gewürzstand erweiterte, schliesslich den Gewürzhandel der Region unter sich hatte, den Marktplatz samt anderen Marktplätzen pachtete und gutes Geld mit den Standmieten machte. Bei Idris veränderte sich äusserlich nichts, er war immer noch mager, trug seine einfachen Kleider und ass Brot in Olivenöl getunkt. Betrat er aber die grösste Bank der Stadt, kam Direktor Zizzi, um seinen Kunden persönlich zu begrüssen. Für den Gewürzhändler lief alles bestens bis diese schändlichen Gerüchte in Umlauf kamen.

Du kannst dir vorstellen, dass dem ältesten Sohn von Idris‘ Bruder beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen sind, als er seine Tante Fatima (Name nicht geändert, blogk) so am Tisch sitzen sah, das lange Haar offen und wallend über den Schultern. Sie rauchte und trank aus einem Glas. Er war über die Dächer gestiegen, um in dieses Fenster reinzuschauen. Eine Mutter von acht Kindern leichtbekleidet im Zimmer eines Mannes, der ihr Sohn sein könnte – so eine Schande!
Später kamen zwei Polizisten, legten ihr Handschellen an und führten die Ehebrecherin ab. Einer der beiden weinte dabei beinahe und murmelte so etwas Blödes wie: „Du bist so schön, warum tust du das?“
Viele Männer von Casablanca brachten Fatima Essenspakete und Briefe ins Gefängnis, so lange, bis der älteste Sohn von Idris‘ Bruder dem Wachpersonal das Überbringen jeglicher Post bei Leib und Leben verbot und den jungen Geliebten, ebenfalls bei Leib und Leben zwang, die Sünderin zu heiraten.

Idris wurde umgehend an eine tüchtige, anspruchslose Witwe vom Land vermittelt. Fatima, nach dem Gefängnis älter und vielleicht auch ruhiger geworden, bewohnt eine kleine Wohnung in Casablanca. Ihr neuer Ehemann arbeitet im 700 km entferten Tetouan und ist selten zu Hause. Fatima freut sich sehr, wenn sie Besuch von ihren „Verwandten“ aus der Schweiz bekommt, die ihr ja nach der Verstossung eigentlich nicht mehr verwandt sind.