„Je schlechter die Zeiten, desto schöner die Gärten“ habe ich in einem Film gehört.
Seit heute – nach 234 Tagen – gibt es im 16. Stock wieder eine netz- und gerüstefreie Sicht auf die gepützelten akkuraten Beete und Sitzplätze der Reihenhäuser und weiter hinten, über den Wipfel der Birke hinweg, auf meinen Garten, der geordnet unordentlich ist.

Auch die Europäer flüchten und zwar ins Private (Sonntagszeitung vom 13.09.2015, S.51-52). Bei tagtäglichen Nachrichten über Elend und Verzweilflung ziehe man sich zurück ins Elchhaus in die heimischen vier Wände, backe Törtchen in pastellfarbigen Förmchen, nähe Schürzen mit passenden Tischdecken und schauen Filme mit Happyend. Auch seien die Sozialen Medien übervoll von herzlieblichfriedlichglücklichen Abbildungen.
Bei mir kann ich ähnliche Symptome beobachten wie, neben dem täglichen im Garten Werkeln, Konfitüre und Sugo einkochen, Lavendelsäcklein als Tischdekoration binden, Kräuter trocknen, Ringelblumenblätter über den Salat streuen, Bohnen und Apfelmus einfrieren, positive Zeitungsartikel sammeln, wieder mehr Briefe und Karten schreiben und ab und zu statt eines Gutscheins ein Päckli verschicken.

Als ich im August vor 37 Jahren in Kandahar zu einigen Europäern sagte, es braue sich hier in Afghanistan ein Krieg zusammen – ich konnte so einiges beobachten, das ich aus anderen Kriegsländern kannte – wurde mir gesagt, ich hörte „das Gras wachsen“.
Heute wäre ich froh, hätte ich es nicht wachsen gehört. Ist das der Grund, dass ich sogar die unvorteilhaft abgebildeten Rezepte aus dem „Anzeiger“ sammle? Schalte ich etwa ab mit Lauchküchlein und Marronigratin? Das wäre deprimierend.

Ich blättere noch ein bisschen in den gesammelten positiven Nachrichten, bevor diese in den Zeitungsbund wandern:

Positives Nr. 1, „Der Bund“, 10.10.2015, S.22
Berner Primarschüler kämpfen für Ohrfeigenverbot.
Es sind Kinder aus unserem Schulkreis, die nicht mehr geohrfeigt werden möchten und eine entsprechende Petition bei der ständerätlichen Rechtskommission einreichten. Diese meint, es brauche noch einige politische Vorstösse, um den gestrichenen Paragraphen „Züchtigungsrecht“ durch einen neuen Paragraphen „Verbot der körperlichen Züchtigung“ zu ersetzen. Das Fernsehen berichtete über die engagierten SchülerInnen von Bethlehem. (Der „Chlapf“ vom Lehrer oder der Lehrerin ist schon lange verboten.)

Positives Nr. 2, „Der Bund“, 23.09.2015, S. 21
Das „Stiefkind“ Begabtenförderung.
Bei der Begabtenförderung muss gespart werden. Das führt zum Glück zu null Aufschrei im Kanton, denn das Budget wurde im vergangenen Jahr nicht ausgeschöpft. Es gebe wichtigere Herausforderungen im Kanton, als die Förderung der begabten Kinder. Manche Hochbegabten möchten gar nicht gefördert werden, um nicht aufzufallen. Solche Förderung bedeute für Lehrerinnen und Lehrer nur mühsamen Mehraufwand. In einigen Gemeinden gebe es auch gar keine Hochbegabten, da blieben diese Speziallektionen zu Recht ungenutzt. Die Schulinspektorin Frau Therese de Bruin-Krebs aus dem Emmental trifft den Nagel auf den Kopf: „Wenn es in einer Gemeinde tatsächlich keine Hochbegabten haben sollte, kann man natürlich keine finden.“

In Berns Westen, dem Ghetto der Stadt, gibt es tatsächlich einige hochbegabte Kinder. Diese treffen sich einmal pro Woche in einem der Schulhäuser und arbeiten dort unterstützt von zwei Speziallehrerinnen, an ihren diversen „Forschungsprojekten“. Hat ein solches Kind z.B. den Wunsch, eine Klasse zu überspringen, wird es von der Schule unterstützt, den Versuch zu wagen.

Positives Nr. 3, „Der Bund“ 08.09.2015, S. 28
Ehevermittlerin Oma.
Die US-Anthropologin Christen Hawkes hat immerhin 20 Jahre geforscht, bevor sie zusammen mit Statistikern und Mathematikern zu folgendem Ergebnis kam: „Der Schlüssel, warum Mamas schneller weitere Babys bekommen können, ist nicht Daddy, der den Schinken nach Hause bringt, sondern Oma, die beim Füttern der abgestillten Kinder hilft.“ Schwups, widerlegt Frau Hawkes die Jägerthese, wonach sich die Paarbildung vor allem dadurch entwickelte, dass die jagenden Männer die Frau und den gemeinsamen Nachwuchs verlässlich versorgen konnte.
Eigentlich könnte mir das alles egal sein, wenn man aber bedenkt, dass evolutionsbiologisch das lange Überleben älterer Frauen eigentlich sinnlos ist, finde ich es gut, wenn Grossmütter – ein Grossvatereffekt wurde bisher nicht ausfindig gemacht – wissenschaftlich abgesichert wichtig sind für den sozialen Zusammenhalt der Gruppe. Nachkommen mit Grosi haben bessere Überlebenschancen als solche ohne, zeigen bisherige Studien. Allerdings tritt diese positive Wirkung nur bei Grossmüttern der weiblichen Linie auf.

Wie gut, dass es für mich schon in einigen Tagen wieder einen Schnabel mehr zu füttern gibt!