Als der Radiowecker klingelte, langte Juliette mit ausgestrecktem Arm nach dem Nachttisch und warf auf diese Weise den Wecker zu Boden, womit das grässliche Summen aufhörte. Sie schob ihr Federbett zur Seite …

Das bin natürlich nicht ich, sondern Juliette Beaumont aus dem Buch, in welchem ich vor dem Aufstehen noch ein paar Seiten lese. Es ist das „Winterbuch“ aus meinem Café littéraire. Laut Werbung von RTL France auf der hinteren Seite des Umschlags ist dieser Roman gefährlich und man könne ihn nicht mehr aus der Hand legen. Ich kann.
Dichter Nebel schwappt mir entgegen, als ich das Fenster öffne. Auf dem Sims liegen zahlreiche tote Mücken. Seitdem die Fassade des Blocks isoliert wurde und deshalb die Fenster tiefer liegen, suchen Mücken und allerlei Käfer hier Schutz vor der Kälte. Gestorben sind sie ja zu dieser Jahreszeit immer, aber ein bisschen diskreter. Oft wurde in den vergangenen Wochen der Hausmeister zu Hilfe gerufen. Der konnte nur zu einem Lappen und Seifenwasser raten.

Ich beschliesse, die erfrorenen Mücken heute liegen zu lassen. Vor dem Duschen und Anziehen werfe ich einen Blick auf die News-Schlagzeilen, mache die angezeigten Uploads auf meinem iPhone. Später lese und beantworte ich ein paar Mails und bezahle eine kleine Weihnachtsspende hier ein. Wer weiss, vielleicht reicht es für eine Nähmaschine. Beim Zusammenlegen der gestern Abend gewaschenen Wäsche stelle ich, wie früher schon, weiteren Sockenfrass fest: 23 Einzelpilze, aber immerhin 33 Paare. Ich falte auch die übrige Wäsche (für die Kleinkrähen) und lege sie zum Mitnehmen in eine blaue Tasche aus dem Elchhaus.
Falls jemand hier liest, möchte sie/er eeendlich Kaffee. Ich auch.
Wenn man im 16. Stock wohnt, versucht man möglichst viel in einem Gang zu erledigen. Also packe ich die diversen Plastikflaschen in den Einkaufswagen, binde den Müllsack zu, schnappe die Einkaufsliste und fahre mit dem Lift ins EG. Im „Ghüderhüsli“ (Kehrichtraum) werfe ich den Abfallsack in einen der riesigen Kontainer. Auf dem Weg zur Tramhaltestelle mache ich einen kurzen Abstecher in den Garten. Dort ist von meiner letzten Sammelaktion nichts mehr zu sehen. Eine neue Laubdecke liegt auf Beeten und Rasen. Wie die Mücken auf dem Fenstersims, lasse ich auch die Blätter liegen und fülle nur frische Körner ins Vogelhaus. Auf dem Rosmarinstrauch daneben liegt ein Rauhreifspinnennetz.
Beim Orangen Riesen werfe ich die Flaschen in die Sammelbehälter. Für meine Tochter, die morgen Geburtstag hat, suche ich den Topf mit der schönsten Christrose aus. Frau Moosberger an der Blumenkasse stellt mir die Pflanze sorgfältig in eine Tüte. Ich kann diese bei ihr deponieren, bis ich meinen Einkauf erledigt habe.

Endlich nehme ich mir im Orangen-Riesen-Restaurant eine angewärmte Tasse und drücke auf die Milchkaffeetaste. Es gibt, obwohl es langsam gegen Mittag geht, noch ein Croissant. Nun lese ich die Zeitung und überspringe auch ab und zu einen schrecklichen Bericht.
Kurz nach elf, ein bisschen vor den Arbeitern, kommen zahlreiche Rentnerinnen und Rentner zum Mittagessen. Das ist mir noch nie aufgefallen. Es gibt unter anderem Fleischvögel mit Gemüse und sieht sehr lecker aus. Ausserdem gibt es Zeitungen und Bekannte für ein Schwätzchen.
Nun mache ich meine Einkaufsrunde. Heute kann man Mandarinen und geräucherten Schinken degustieren. Die Teller unter den Plastikhauben sind beinahe leer. Mit meiner Dauersorge, einmal richtig arm zu sein, stelle ich mir vor, dann diesen Degustationsplatten nach zu gehen und Traubenbeeren, Hobelkäse, Christstollen, Salami und Grossmutters Lebkuchen zu verschlingenprobieren. Immerhin ein Plan für schlechte Zeiten.
Aber – GSD – kann ich mir noch kaufen, was ich brauche. Mit Frau Minder, der Mitarbeiterin, welche im Sousol alle Regale auffüllt und im Schuss hält, wechsle ich immer ein paar Worte. Sie hat eine neue Frisur: auf einer Seite Millimeterschnitt, sieht sportlich aus. „Ja, man merkt’s, die Weihnachtszeit ist für viele Kunden nicht leicht“. Zum Glück arbeite sie in einem guten Team, da könne man das durchhalten.
Nun hole ich noch die Christrose ab und mache mich auf den Heimweg. Es ist nun 12:20 Uhr.

Schon lange habe ich mir vorgenommen, einmal einen Was-Machst-Du-Eigentlich-Den-Ganzen-Tag-Tag aufzuschreiben. Von Frau Kaltmamsell habe ich den Link von Frau Brüllen erhalten. Deshalb versuche ich es einmal. Ich muss noch geraffter schreiben und nicht so vom Hundertsten ins Tausendste. Leider, für die Blogk-BesucherInnen, finde ich eben gerade diese tausend Kleinigkeiten, die zu erledigen sind, oft so mühsam.

Bevor meine Enkelin mit ihren Hausaufgaben zu mir kommt, lese ich wieder Zeitung, wühle mich durch Koch-, Geschenke-, Reise-, Garten-, Bauhaus-, Unterhaltungselektronik-, Sportbekleidungsbeilagen. Bleibe an einem Modeheft namens „encore!“ hängen: tolle Uhren, Schuhe, Mäntel, Männer, die aus teuren Autos lehnen, Frauen, die für Parfüm werben und sich angeblich am liebsten in Küchen beim Kochen erholen.
Dann kommt mein Schulmädchen, muss vier Seiten lang im Zahlenraum 100 bis 1 000 000 herum turnen. Nun ist Französisch an der Reihe. Die Viertklässlerin hat einen französischen Text, aus welchem sie die aus dem Englischen stammenden Wörter heraussuchen muss. Im ersten Teil wird „feestyle basketball“ in Französisch erklärt. Wir lesen gemeinsam und müssen nicht jedes einzelne Wort verstehen. Dann schauen wir uns ein kurzes Video zu diesem Sport an. Einige der akrobatischen Szenen wurden auf der Wiese vor dem Schiefen Turm gedreht. Das gefällt meiner Enkelin besonders gut, denn sie kennt diesen Platz.
Im zweiten Teil der Aufgabe geht es um einen Jungen, der im Fussballklub eines Quartiers spielt und davon träumt, einmal bei Olympique Marseille zu spielen. Um eine kleine Pause zu machen, schicke ich das Mädchen in meiner Wohnung auf die Suche nach etwas von OM. Es dauert nicht lange, bis sie die blaue und die weisse Seife aus dem OM-Fanshop findet.

Die Nachmittagsschule ist aus und mein Enkel kommt mit Bärenhunger nach Hause. Heute ist er gegen einen Baum gelaufen und hat sich die Hand aufgeschürft. Er trägt einen roten Verband und versputzt im Nu eine Schale Müesli und zwei Mandarinen. Dann erzählt er vom Match am Samstag YB gegen den FC Basel und der Doublette von Hoarau. Mit so treuen jungen Fans müssen die Berner einfach gewinnen – ghoue oder gstoche!
Ich schaue zu, wie der Bub seine Sprachübungen erledigt. Mit dem Verband könne er nicht schöner schreiben.

Nachdem die Kinder mit dem Lift nach Hause gefahren sind, fülle ich die Säcklein für den morgigen Klausentag mit Nüssen, Schoggi, Lebkuchen, einem Buch. Diese Nacht werde nicht geschlafen. Durch den Türspion wollen sie den Nikolaus beim Verteilen beobachten. Man hat bereits einen Stuhl parat, um besser durch das Loch sehen zu können.
Da ich gerade am Einpacken bin, mache ich auch ein Geburtstagspäckli für meine Tochter und gebe dem Weihnachsgeschenk für meinen Schwiegersohn den letzten Schliff.

Im Magazin lese ich nachher diesen hochinteressanten und ebenso bedrückenden Bericht.
Eigentlich sollte man WMDEDGT?-Tage nur in Schulhefte schreiben und nicht in Blogs, aber nun ist es sowieso zu spät. Wenn sie wollen, können sie von uns alles wissen, mehr, als wir von uns selber.

Nein, so kann ich den „Thärme“ nicht abschliessen!

Ich mache es mit einem Fussballer (siehe oben), der auch singen kann und vielleicht ein gutes Beispiel für unsere Kinder ist.