Noch nicht sieben. Der Morgennebel hing über der Erde wie ein schwerer grauer Vorhang. Er wallte und waberte, trieb in wolligen Wirbeln und Girlanden dahin, teilte sich. In einer Ecke des Parkplatzes, beinahe verborgen von den Schwaden ein kleiner Wagen, leer, das hintere Seitenfenster teils eingeschlagen und mit Plastikfolie und Klebeband abgedeckt. Der Sheriff bückte sich und sah hinein. Doch nicht leer.
Auf dem Fahrersitz sass eine junge Frau und schlief. Sie hatte die Knie angezogen, ihr Kopf lehnte am Fenster. Auf dem Beifahrersitz lag ein Küchenmesser mit zehn Zentimenter langer Klinge, und auf der Rückbank war ein pelziges Bündel, das der Sheriff nicht genau erkennen konnte.
Er klopfte leicht ans Fenster…

Die Frau ist Lilian, die sich auf keinen Fall vom teuflischen Blackway aus dem kleinen Nest in Vermont vertreiben lassen will. ISBN 978-3-312-00693-9

Mich weckt heute Grossesmädchen. Es holt sich seine Sportkleider an meiner Wäscheleine. (Ich hatte Hosen und Shirt gestern zusammen mit meiner Feinwäsche gewaschen.) Nicht besonders munter fange ich an, die Küche aufzuräumen und dann die restliche Wäsche abzuhängen. Ich beschliesse, trotz des grauen Himmels schwimmen zu gehen. Die Wäsche lasse ich auf dem Bügelbrett liegen, mache das Bett, putze die Lavabos und hänge eine neue Seife ins Klo. Ich hinterlasse die Wohnung gerne einigermassen ordentlich, obwohl meine Töchter mir das abzugewöhnen versuchen und versprechen, alles in Ordnung zu bringen, falls ich das mal selber nicht könnte.
Ich wärme mir eine Schale Haferbrei, streue etwas braunen Zucker mit Zimt aus Marokko darüber. Dazu gibt’s ein Glas Wasser. Nein, ohne Zitrone. (Herzogin Meghan trinke zum Frühstück nur ein Glas Zitronenwasser, natürlich ohne Haferbrei.)
Nach einem kurzen Besuch bei meinen Balkonpflanzen, die Gurken wachsen schon bald in mein Wohnzimmer hinein, lese ich noch einige Seiten im Juni-Buch meiner Café-littéraire-Gruppe: Amos Oz „Judas“.
Auf dem Weg ins Schwimmbad gehe ich im Garten vorbei und pflanze den Rest meiner Prunkwindensetzlinge ein. In einem Beet habe ich ein Gitter aufgestellt in der Hoffnung, die Gurken würden dieses erklimmen. Im Moment gibt es für diese Kletterei noch keine Anzeichen. Damit sie ein gutes Vorbild erhalten, bekommen sie die sportlichen Winden an ihre Seite.
Die Vögel pfeifen, der Wetterhahn schaut nach Norden und ich setze mich ein bisschen vors Gartenhaus, schaue dem Grünzeug beim Wachsen zu.
Als mir die Sonne auf die Beine scheint, wird es Zeit fürs Bad. Schnell mache ich noch ein Foto von meinen Kletterrosen.

Kletterrosen

Liegewiese und Schwimmbecken sind ziemlich leer. Auch auf der Terrasse gibt es kaum Gäste. Die Bern-Westler sind einfach was die Badi-Beiz anbelangt, nicht flexibel. Wenn ein neuer Wirt kommt, ist er nicht wie der alte und es gibt viel zu reklamieren. (Ich bin da keine Ausnahme. Mir passen u.a. verdreckte Beizen-Klos ohne Klorolle gar nicht.) Es werden sicher einige Wirte und Wirtinnen an uns vorbei gehen.
Ich schwimme 40 Minuten im kühlen, leicht gekräuselten Wasser und lege mich dann mit Hut und Tageszeitung in die Sonne.
Zwei Nachrichten geben mir zu denken:
Erstens: Wie mager muss ein Eisbär sein, wenn er die Vorratskammer eines Hotels durch ein sehr kleines Fenster verlassen kann?
Zweitens: Darf unser Aussenminister die UN-Flüchtlingshilfe für Palästinenser (UNRWA) kritisieren und sie als Hindernis für Frieden und Integration im Nahen Osten bezeichnen?
So friedlich auf dem grünen Rasen liegend finde ich, er darf, aber er hat dafür viel „Balgis“ (Schelte) von allen Seiten bekommen.

11:47 nehme ich den Quartierbus und fahre heim. Vor dem Block rufen die Kinder „Ima, Ima“ und meinen mich.
Ich unterhalte mich noch ein bisschen mit den Nachbarn über das erfolgreiche Jeki-Kinderkonzert am vergangenen Sonntag im Kursaal.

Mein Nachbar Mergim mit kosovarischen Wurzeln steht auf dem Balkon und zeigt mir, wie ihm die Tränen die Wangen runter rollten, als sein Sohn im Chor auf der Bühne sang.
Zum Zmittag belege ich mir ein paar Knäckbrote mit Käse (Wilhelm Tell, Gotthard) und Tomaten. Bei Herzogin Meghan wäre jetzt ein grüner Smoothie angesagt, weil nach dem Zitronenwasser sich nun ein Hüngerchen meldet.
Zum Essen lese ich die Post, dann bügle ich die Wäsche von heute früh. Anschliessend bin ich reif für einen Powernap, bis mein Enkel in Fussballmontur vor meinem Bett steht und leise sagt: „Ima, ich habe keine Aufgaben, aber Hunger.“
Ich schneide Früchte auf und repetiere dann mit ihm die Französischwörter auf seinen Übungskärtchen, eine Aufgabe, wenn’s keine Aufgaben gibt:
ça ne sert à rien
je n’ai jamais essayé
ce n’est pas de ma faute
comment ça s’écrit?
….
Wir lernen 15 Kärtchen, dann geht’s ab auf den Roten Platz zum Kicken.

Ich bekomme einen Anruf von der Leiterin des Cafè Littéraire. Mit ihr bespreche ich einige Bücher, die wir in diesem Jahr noch lesen könnten, besonders die Sommerlektüre, die seit 40 Jahren immer eine leichte, bis sehr leichte ist und einige hundert Seiten umfassen darf. Zwei Leserinnen haben „Bella Germania“ (über 600 Seiten) vorgeschlagen. Mir soll’s recht sein, obwohl ich die Geschichte langweilig finde.
Im Mai hatte ich von Castle Freeman „Männer mit Erfahrung“ vorgeschlagen. Dieser Titel fand wenig bis keinen Anklang bei den Frauen in der Lesegruppe: zu simpel, schlecht übersetzt, nichtssagend, brutal, verherrlicht Selbstjustiz, man muss sich durch den Text beissen …
Wir schauen uns dann noch die Berner Theaterprogramme an. Welcher Autor, welche Autorin könnte für uns interessant sein?
Die Leiterin fragt auch, wie es mir gehe nach diesem „Flop“ mit dem Freeman. Mit geht es gut. Ich kann viel einstecken und während einer heftigen Diskussion freundlich bleiben. Meine Familie hat mir zwar geraten, die Lesegruppe zu wechseln. Damit warte ich noch.

Nach der Klavierstunde kommt Grossesmädchen mit den Hausaufgaben „Aufbau einer Tageszeitung“. Es müssen Zettelchen mit Fachbegriffen richtig auf eine Tageszeitung geklebt werden: Logo, Schlagzeile, Unterzeile, Spalte, Bild, Bildlegende, Raster …

Unterdessen ist es Abend geworden. Ich räume die Abwaschmaschine aus, schreibe dann einige Mails.
Fertig, Zeit für den Krimi.

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