… oder doch – nur bitzeli, weil blogk immer daran interessiert ist, was über das Leben in Berns Westen geschrieben wird.

Liebe Isa
ich gebe zu, mein Einstieg in die junge Zeitung, für die du schreibst, war nicht gerade erhebend. Dein Weihnachtsbeitrag über Bern-Bethlehem hätte mich nicht überzeugt, ein Abo zu kaufen. Aber ich erhielt eines zum Christfeste geschenkt, und jeden Tag gibt es ja Neues zu lesen.
Leider, leider kommst du bei mir in die Schublade der JournalistInnen, die ich als endlich ausgestorben hielt.

Dein Bericht über unser Quartier strotzt nur so von Klischees und Ungenauigkeiten und spart nicht mit Beleidigungen.

Das Quartier erinnert an ein Altersheim, in dem gelegentlich ein paar Möchtegern-Bushidos durchs Bild rennen.
Kriminalität und Drogen sind normal im Viertel.
Man gibt sein Bestes in Bern-Bethlehem. Man versucht. Im Versuchen hat man hier nämlich Erfahrung.
Bern-Bethlehem könnte mit seinem Namen die Weihnachtshochburg schlechthin sein – so richtig gelingen will dies dem Quartier […] allerdings nicht.

Du kamst unangemeldet von auswärts und wurdest von einem Bewohner/einer Bewohnerin an meine Familie verwiesen. Ganz klar öffneten wir die Tür, liessen alles, was sich so vor den Festtagen anhäuft, liegen und versuchten, deine Fragen zu beantworten.
Als du bei Kaffee und Panettone deine Notizen schriebst, hätten wir dich anscheinend mindestens über die Tatsache informieren müssen, dass der weihnächtliche Sonderstempel der Post nicht bis Ostern gilt, der Stern auf unserem Block kein gigantischer Stern auf dem Hauptplatz ist, sondern nur ein schlichtes Metallgestell mit LED-Lampen, das überkonfessionelle Krippenspiel nur alle 2 Jahre stattfindet, der Weihnachtsmarkt eher mickrig ist und Glockenturm aus Geldmangel immer noch defekt.
Die kiffenden Jugendlichen suchtest du im Westside vergebens und fandest sie schliesslich und zum Glück vor der Kirche. Auch einen Rapper mit dicker Uhr und Goldkette konnten andere für dich noch organisieren, nachdem wir dir sagten, dass aus den uns bekannten Rappern inzwischen gestandene Familienväter geworden sind.
Weil es zu dunkel war, waren die Gärten der Reihenhäuser (die kein Mensch mehr „Kriegssiedlung“ nennt) nicht zu sehen und du liessest sie in deinem Bericht einfach mit Hochhäusern überbaut.

Dass Tausende Pokémon-GO-Jünger 2016 zum jetzt defekten Glockenturm gepilgert sein sollen, um das weltweit heiss begehrte Pokémon Kecleon dort zu fangen, wie du schreibst, kann ich nicht glauben!
Diese Tausende – in einem Altersheim wie es unser Quartier ja in deinem Artikel ist – wären mir aufgefallen. Obwohl sich Kecleon seiner Umgebung anpassen kann, das Zickzackmuster auf seinem Bauch bleibt ja unverändert und wäre mir nicht entgangen, aber dieses Pokémon ist noch gar nicht erhältlich.

Was nehme ich nun mit aus der „Geschichte“, liebe Isabelle?
Wahrscheinlich deine träfe Beobachtung:

Man gibt sein Bestes in Bern-Bethlehem. Man versucht. Im Versuchen hat man hier nämlich Erfahrung.

Da sind auch der überfallene Kiosk, die chronischen Sparmassnamen, die Freiwilligenarbeit, die Eidgenossen, die paar Tausend mit dem ausländischen Pass und der ganze real shit, den es in der Plattenbau-Tristesse halt so gibt, mit eingeschlossen.

Solltest du aus der Weltstadt wieder einmal in unserem Städtchen auftauchen, du weisst ja nun, wo du uns findest: in der Melchior, neben Balthasar und Kaspar.

Wintergemuese

Mit dieser Weihnachtskarte, die nicht immer mit Stern sein muss, verklebt oder schlicht Metall, schicke ich dir Grüsse und gute Wünsche zum neuen Jahr!

IMA, 1st, female,
die zu den vielen gehört, die stolz sind auf das Heruntergekommene.

Schräg Gestelltes im Originalwortlaut des Weihnachtsberichts.