Eigentlich wollte er an diesem Samstag das Herbstlaub im Garten zusammen rechen, gemütlich eine Zigarre rauchen und nach getaner Arbeit eine Flasche Twanner Frauenkopf aufmachen, als das bundesrätliche SMS ihn aus seiner Ruhe riss. Ohne lange zu überlegen pfiff er den Hunden, legte ihnen die Sonntagsleinen an und machte sich, noch in der Gartenschürze auf Richtung Klösterlistutz. Übermütig beinelten seine drei treuen Gefährten neben ihm her, dem Geruch nach Bär, dem Klang der Kuhglocken und der lüpfigen Volksmusik entgegen.
Er wusste, das war sein ganz persönlicher Gang nach Canossa, aber als Stadtpräsident blieb ihm keine andere Wahl. Er war jetzt ganz auf sich allein gestellt! Ehrlich gesagt, hatte er schon sein ganzes Leben lang nach einer solchen Herausforderung gelechzt und sich gewünscht, endlich aus dem Schatten seines Vaters zu treten. Obwohl es einen Moment der Überwindung brauchte, sich vom Herbstlaub zu trennen, wusste er sogleich:
D a s war die Gelegenheit auch ein „Stadtvater“ zu werden: die übrigen Gemeinderatsmitglieder weilten in den wohlverdienten Herbstferien, Bunderat Schmied konnte das Parlamentsgebäude der Chaoten wegen nicht verlassen und Regierungsrat Luginbühl hatte sich vor den Tränengasschwaden in der Altstadt auf leisen Sohlen davon gemacht.
In wenigen Sekunden zogen die Konsequenzen, welche ihn erwarteten, an seinem inneren Auge vorbei: Die lustigen Teilnehmer an der Kundgebung für eine sichere und saubere Schweiz dort unten an der Aare würden ihn auslachen, ja, mit ihren Kuhglocken ausschwengeln. Der dazugehörige Bundesrat würde eventuell höhnisch lächeln und ihm und den Hunden den Gratis-Festschüblig verweigern, die JUSOs würden ihn hassen und als Verräter anprangern und seine ausgeruhten Ratskollegen kämenn mit den schärfsten Vorwürfen, er habe eigenmächtig gehandelt und viele seiner Parteigenossen würden ihn ab heute nicht mehr kennen.
Aber nun musste, ghoue oder gschtoche, gehandelt werden. An seine politische und private Zukunft wollte er jetzt, wo Bern in Not war und Ehre und guten Ruf zu verlieren hatte, nicht denken.
Das Geläute dröhnte in seinen Ohren. Seine Hunde zogen ihn durch einen Wald von Schweizerfahnen. Vor dem mit Geranien bekränzten Rednerpult beugte er Knie und Haupt, schaute dann aber entschlossen auf und sagte laut und deutlich aus ehrlichem Herzen: „Es tut mir Leid. So etwas sollte in meiner Stadt, der schönsten der ganzen Welt, nicht passieren!“

Nur schade, dass keiner der zahlreich anwesenden Reporter diese ergreifende und mutige Szene im Bild fest gehalten hat. Aber das ist wahrscheinlich das Los der stillen Helden im Herbst.