Februar 2009


Gelassene Federn

Wenn der „Bären“ geschlossen ist und auf dem Friedhof und um die Klosterruinen tiefer Schnee liegt, ist im Dorf nichts los.
In den Sträuchern an der Südmauer der Martinskirche taumeln die Bienen und sumherumsen wie verrückt.
Der senkrechte Riss im Mauerwerk des Gotteshauses ist kaum zu sehen. Hoffentlich bleibt alles weitere tausend Jahre auf Fels gebaut.
Vor der Seitentür liegt ein zerbrochener Grabengel. Ab und zu rutscht ein Walm Schnee von einem Dach.
Später klettere ich die enge Stiege des alten Hauses hinauf auf die Bühne. Einige glänzend blaugraue Federn liegen auf dem Boden – der Rest einer Mardermahlzeit.
Zusammen mit Schwestern und Nichte kehre ich ich im „Gschneit“ ein, die Einheimischen sagen „Gschniit“ (geschneit – was natürlich im Sommer weniger passt). Ich bestelle das letzte Menue „Suure Mocke mit Härdöpfelstock“, was ein typisches Winteressen ist. Am gegenüberliegenden Hügel beim Tavel-Denkmal wird geschlittelt wie zu des Dichters Zeiten: ohne Lift, dafür mit einer sagenhaften Aussicht auf die Berge.

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Endlich und kurz vor Beginn der Segelsaison ist er zurück,
neu gepolstert und überzogen, das Holz aufgefrischt.
(Der einheimische Sattler hats geschafft).

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„Auso, die Frou z’strähle, isch e richtegi Herusforderig für mi“,
erzählt mir meine Schwester Rosy, die Betagtenbetreuerin.
„Zersch muesch am Hingerchopf ds Haar quer scheitle, nächhär züpfle u d’Sitefäcke uf enes Strähli liire. Ds Ganze hinger dr Scheitle zimlich obe druf befeschtige. Ds Vorderhaar uf enes grössersch Kämmli hingere stecke über ds angere Kämmli. So, das es das deckt. De gits e Querbanane, nid so, wie bi dr Grees Kelly, sondern äbe quer, vom lingge Ohr zum rächte. Wes nid guet oder z’fescht isch, schriisst d’Frou aus ache.“

Heute schneit es wieder einmal was abema. Eine alte Frau in Hausschuhen und keckem Jägerhut stapft vor mir durch den Schnee. Sie zieht ein Wägelchen, beladen mit einem grossen Wäschekorb hinter sich her. In der Hand trägt sie zwei Kesselchen mit Waschpulver.
„Müesst de öppe Chöttine montiere, Frou Sturzenegger“, wird die Wäscherin von einigen Nachbarn geneckt. Diese stehen schwatzend auf dem verschneiten Weg. Sie tragen wasserdichte Pelerinen und Filzhüte und schieben mit ihren Stiefeln Muster in den Matsch, während ihr Bassetmischling keine Lust auf Wald zu haben scheint und an Ort scharrend vergeblich an der Leine nach Hause strebt.
„Dä wott no nid ufgää“ lacht Frau Sturzenegger, hebt die Kesselchen gegen den Himmel und biegt ab zum Waschhaus zwischen den Rehenhäusern.
Block ist Block, könnte man meinen, und ein Quartier mit derselben städtischen Postleitzahl ist doch Hans was Heiri. Das finde ich nicht.

Mit dem frühmorgendlichen Durchqueren von Baustellen, dem Übersteigen von Schutt und Pfützen, den Umleitungen über provisorische Fusswege ist es vorbei. Ich beginne meinen Tag mit einem Spaziergang entlang verschneiter Gärten. In der Gegenrichtung unterwegs sind einige Hausfrauen in wetterfester Kleidung. An der Leine werden sie von ihren ungestümen Hunden Richting Wald gezerrt. Das Auto eines Malergeschäfts biegt in den Weg ein. Der Lehrling, blass und übernächtigt, hebt eine Schleifmaschine aus dem Kofferraum.
Kurz vor der Bushaltestelle begegne ich „meinem“ alten Schreiner. Er sei jetzt pensioniert und froh darüber, weg vom „Gstürm“ zu sein. Heute werde man einfach von der Liste gestrichen, wenn man mit den Preisen nicht „unghür“ tief gehe, so dass man selber kaum mehr existieren könne. Die Schneeflocken bleiben in seinem Haar und dem weissen Schnurrbart hängen, und er schüttelt sich wie ein müder Bernhardiner. Jahrelang hat er im Block Fussleisten montiert und einige hundert Schranktüren repariert. Daran denkt er gerne zürück. Aber wenn das Rentieren über dem Menschlichen stehe, möge er nicht mehr mithalten.

Heute habe ich mich aufgerafft, einmal beim Block, wo die Sanierung begonnen hat, vorbeizugehen. Es sind drei gleiche Blöcke, die das Quartier ausmachen, in welchem ich seit Kleinkinderzeit wohne, ich habe schon in jedem gelebt und kenne sie weissgott wie meine Hosentasche.

Ich kann mich aber nicht erinnern, dass einmal Wohnungen frei waren. Vielleicht höchstens ein, zwei Monate, weil man eine Weile brauchte, um Schweizer als Nachmieter zu finden. (Wenn Leute schweizerischer Nationalität ausziehen, wird i.d.R. darauf geachtet, diese Wohnungen wieder Leuten schweizerischer Nationalität zu geben, denn wir sind integrativ manchmal etwas am Limit hier.)

In dem Sanierungsblock gibt es total 275 Wohnungen. Und ich habe heute 25 abmontierte Klingelschilder gezählt. Nicht nur die Attika von 1st, sondern auch die 3.5-Zimmerwohnung, die ich mit 2nd, male und 3rd fünf Jahre bewohnt habe, steht leer.

Wäre es möglich, dass die oft zitierte Einschätzung der Verwaltung und anderer Aufwertungs-Prediger, die Leute blieben dann schon, weil sie „nichts Billigeres und Besseres“ finden, falsch war?

Nun hoffen wir auf den grossen Zuzug nach der Sanierung. Denn Leerwohnungen sind nicht gerade das, was ich unter Aufwertung verstehe.

In Thailand, so meint 3rds Freund von ebenda, gibt es keine Prüfung auf militärische Tauglichkeit wie in der Schweiz. (Die Jungs machten sich beim heutigen Abendessen erste Gedanken über ihre Aushebung.)

In Thailand werden alle Einundzwanzigjärigen in einem grossen Raum des Quartiers zusammengerufen. In dem Raum gibt es eine Bühne. Auf der Bühne steht eine Kiste, in deren Deckel ein Loch ist. Die einunzwandzigjährigen Männer reihen sich auf Kommando der Militärs in eine Schlange ein und einer nach dem anderen greift in das Loch, um eine rote oder eine schwarze Karte rauszuziehen. Rot bedeutet Militärdienst, schwarz keinen Militärdienst (oder umgekehrt, 3rds Freund war sich nicht mehr sicher). Diese Karte streckt der junge Mann hoch über den Kopf damit alle sie sehen und die Militärs notieren sich, ob er für zwei Jahre einrücken muss oder von der militärischen Bildfläche verschwindet.

„Und wenn einer ein kürzeres Bein hat? Oder sonst eine Krankheit?“ frage ich. Es wäre ihm bei der Aushebung seiner älteren Brüder und Cousins nie aufgefallen, dass man auf sowas geachtet hätte, antwortet 3rds Freund. Einzig das Los entscheide.

Ob sie denn nicht ein Berufsarmee machen könnten, wo nur die gehen, die wollen, bohre ich weiter. Nein, unmöglich. In Thailand wolle keine einziger Einundzwanzigjähriger zur Armee. Man gehe schliesslich auch nicht freiwillig ins Gefängnis.

Ausser vielleicht in der Schweiz. Da hat es im Gefängnis sogar Betten. Betten! Und Spiele. Und Essen umsonst.

Das war heute die Frage bei „Aussichten aus dem 16. Stock“.
Aus praktischen Gründen, weil Saison unabhängiger, habe ich „Berg“ gewählt.

Im Osten Helles

„Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer!“ aus den frühen achziger Jahren bleibt trotzdem eines meiner Lieblings-Graffitis;-)

Die Haut der Männer ist müde und muss nur munter gemacht werden. Die Haut der Frauen altert und wird gestrafft.
„Hoffart muss leiden“ hat uns Mädchen die Grosstante aus dem Bowil gelehrt.
Es war die, welche zum Honig ein Messer ohne Brot auftische und sagte:
„Näht fräveli bis gnue.“
An eine Honiggesichtsmaske hab ich damals nicht gedacht – schade.