Mai 2012


Hanneli

Johanna Schenk, um ihren 5. Geburtstag, „Hungihüsli“ Biembach,
August 1927

Als Kind habe ich mich oft geärgert, wenn die Eltern uns z’Visite (zu Besuch) mitnahmen zu Leuten, bei denen wir einen guten Eindruck machen mussten und dadurch mit Sicherheit ein öder Sonntag bevor stand. Einer dieser Besuche führte uns – an Pfingst- oder Bettagen – von einer kleinen Bahnstation im Emmental zu Fuss hinein in ein enges Tal und dann steil hinauf über die Kuhweide, einer Haselhecke entlang zu einem Bauernhof. Vom finsteren Schopf trat man durch die Haustür in eine noch düsterere Rauchküche.. Der alte Bauer führte uns in die Stube, wo wir alle auf einer schmalen Wandbank Platz nahmen. Als nächste kam dann Frau Fankhauser, die alte Bäuerin, um uns zu begrüssen. Ihr Gesicht glich einem roten Herbstapfel und ihr Haar einem weissen zerzausten Vogelnest. Ihre Tochter Frida, die junge Bäuerin, sass meist auf dem Sandsteinofen uns gegenüber und sprach hauptsächlich mit meinem Vater, während sie mit einer Leidensmiene die mit schwarzer Salbe verklebten Stützverbände von ihren Beinen wickelte. Immer gab’s etwas zum Jammern: die Krampfadern, der nasse Frühling, die spät gesetzten Kartoffeln, das zugekaufte Heu, der Stall, der Mann, der Goggelüsche (Keuchhusten) vom Bub.
Vater hörte geduldig zu und Mutter machte einen zufriedenen Eindruck. Nach und nach drückten sich dann auch die schüchternen Kinder durchs Türgreis (Türrahmen), nuckelten an Schoppen, Schnullern oder Gungitüchern und schauten uns mit grossen Augen an. An den jungen Bauern, den angeheirateten, erinnere ich mich nicht. Wahrscheinlich war der Sonntag sein Vereinstag. Später holte die alte Frau Fankhauser mit einer Stange eine schwarze Wurst aus dem Rauch, brühte Kaffee auf und gab uns Zvieri. Dann machten wir uns wieder auf den Heimweg, rannten munter den Berg hinunter, traten in Kuhfladen und erreichten das Tal mit Grasflecken auf den hellgrauen Strümpfen oder weissen Kniesocken. Jetzt waren wir wieder frei.
Es sollte Jahre dauern, bis ich realisierte, weshalb meine Mutter solchen Wert auf diese Besuche legte und darauf achtete, dass die ganze Familie schön angezogen, gewaschen und gekämmt war.

Im Alter von kaum sieben Jahren kam sie als Verdingkind auf diesen Hof. Ihre beiden älteren Brüder waren bereits bei Bauern verdingt. Obwohl ihre Eltern fleissig arbeiteten, konnten sie mit zwei Hungerlöhnchen höchstens ein Kind ernähren. Schweren Herzens entschlossen sie sich, abwechslungsweise immer eines zu Hause zu behalten. Als dann noch ein viertes Kind, der Wernerli ankam, sollte auch er verdingt werden. Er weinte aber so bitterlich, dass seine drei Geschwister einverstanden waren, dass der kleine Bub zu Hause bleiben durfte. Meine Mutter blieb bis zum Ende ihrer Schulzeit bei Fankhausers verdingt. Neben zahlreichen harten Arbeiten auf dem Feld, einem beschwerlichen Käserei- und Schulweg musste sie auch noch für das Wohl der Bauerstochter Frida sorgen.

Kein Wunder, dass sich das ehemalige arme Tröpfli von Verdingkind gerne mit seiner eigenen (geputzten und gestrählten) Familie bei seinen alten Meistersleuten zeigte.

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Hahn

Im Moment könnten einem Gärten zum Hals raus hängen. Keine Zeitung, kein Magazin, die nicht irgendetwas über Grünzeug schreiben, kein Fernsehsender, der keine Tipps und Tricks zur Selbstversorgung auf dem schmalsten französischen Balkon berät. (In L.A. sind bepflanzte Kloschüsseln auf chicen Dachgärten der Renner, und in England muss das Lustwandeln, Lustgraben und Lustpflanzen im Klostergarten, – an- oder ausgezogen – für den September schon jetzt gebucht werden). Besonders der urbane Garten ist im Moment absolut in, denn Raum ist in der kleinsten Tüte. Von Beiträgen in Blogs und Gartenblogs rund um die Welt nicht zu reden. Dass ein kleiner Film wie „Unser Garten Eden“ eben einen europäischen Preis gewonnen hat, ist in dieser Zeit der urbanen Selbstversorgung nicht verwunderlich. (Der Film wurde in meiner Nachbarschaft gedreht.) Ganz klar sind in dieser unserer Stadt zahlreiche Zierkübel mit Raps oder einem Pro-Spezia-Rara-Kraut bepflanzt. Bald sollen ja auch die ausgedienten Einkaufswagen in Bern gelb gespritzt, für den mobilen städtischen Gemüseanbau frei gegeben werden.
Auf dem Samstagsmarkt ist es mit diesem Gartenvolk echt grässlich! Vor dem Stand mit Gemüsesetzlingen: „Schahatz, (Muntsch-muntsch), möchtest du Rot- oder Weisskabis?“ „Ich habe eigentlich an Spitzkabis gedacht (Muntsch-muntsch)“. Und wie freuen sich diese Leute, wenn die Märitfrau sagt: „I gibe-n-ech no-n-es Stüdeli drüber-i, ds einte isch e chly n-es Miggerigs“. Am besten verlässt man diesen überbordend fröhlich-bunten Ort sofort, wo an jeder Ecke Pflanzpläne geschmiedet und Pflanzmisserfolgen der vergangenen Jahre auf den Grund gegangen wird. Aber ja nicht über eins der zahlreichen Kleinkinder stolpern, welchen der Platz im Kinderwagen von Setzlingen weggenommen wurde!
Das alles geht ja noch. Am schlimmsten sind diese angefressenen Gärtnerinnen und Gärtner in der Familie. Bei jedem Essen hört man eine Story über den Salat – Eichblatt, Kopf, Kresse, Schnitt – der dank Frühbeet früh im Jahr auf den Teller kommt, von den Kräutern, die, Baruch haSchem und Alhamdulillah, dem eisigen Frost getrotzt haben, von dem Lattich, der als Gratin besonders fein schmeckt, der Minze (es gibt davon viele Sorten), bei welcher die marrokanische besonders minzig schmeckt. An jedem Löffel Rhabarberkompott hängt ein Geschichtchen – wie lange darf man ernten, wie rotodergrünoderdoch rotgrün darf der Stängel sein, welche Nachbarn bekommen etwas, jede Beere wird kommentiert – von Schnecken durch Piniennnadelunterlage oder aus verlassenenm Garten gerettet. Eeendlos und ehrlich ein bisschen nervend – sorry. Klar lesen die Angefressenen Gartenbücher, können stundenlang Bilder vom Prinzessinengarten in Berlin-Kreuzberg und Wirsigköpfe in Jutesäcken betrachten. Wie Katzen- und Hundefans fotografieren sie natürlich bei Sonne und Regen ihre Lieblinge, und man kann nur dankbar sein, dass die Familien-Dia-Bilderschau der Vergangenheit angehört. Über diese emsigen Leutchen kann man (nach meiner Mutter selig) nur sagen: „Si mache wenigschtens nüt Dümmers.“

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Lebenshilfe

Also, ich finde das tägliche Leben viel leichter als früher. Früher musste ich amigs überlegen, wie ich einen angefangenen Beutel verschliessen sollte – mit einem Gümmeli, einem Klämmerli, einem Drähtli oder sogar mit einem Schnürli? Als ich heute das Lödli mit den Sonnenblumenkernli aufmachte, war daran ein Kleberli geklebt mit einem Bildli drauf, wie ich 1. das Säckli aufrollen und 2. das Rölleli mit dem Kleberli verkleben soll. Nun kann nichts mehr passieren mit den Widerspenstigen. Sowohl Kärnli, als auch Schränkli bleiben sauber. Auch auf der schmalen Plastikhülle, in welche meine Strümpfe verpackt sind, steht, dass man sich dieses Säckli ja nicht über den Kopf ziehen soll. Ich habe allen, die mir lieb und teuer sind, das Plastiksäckli anprobiert. Zum Glück hats niemandem, nicht einmal dem kleinsten Kleinkrähchen gepasst, und ich darf weiterhin bei dieser Strumpfmarke bleiben. Als ich letzthin eine neue Duschmatte kaufte, las ich auf der Verpackung : „Bitte nach Gebrauch Seife auf beiden Seiten abspülen“. Das mache ich gerne, spüle nach jedem Duschgang die Matte oben und unten ab, beuge der Rutschgefahr vor. Zum Glück steht auf dem Zellophanhülleli, das eine Packung Bouillonwürfel zu einem nur schwer zu knackenden Gemüsetresor macht: „Verpackung zum Verzehr nicht geeignet“. Am Oleanderstöckli hing ein Schildli mit einem durchgestrichenen Apfel „on-eetbaar“. Ohne diese Info hätte ich das O-Bäumli doch glatt in die Suppe geschnetzelt. Dem Wetter-Mann im TV bin ich dankbar, wenn er mich spät nachts daran erinnert, dass von irgendwo her ein Sturmtief heranbrause und vorsichtshalber das Einrollen der Sonnenstore angesagt sei. „Dieses Produkt eignet sich nicht zum Rohessen.“ Nun koche ich die Bohnen immer und meide sämtliche rohen Bohnengerichte, zu welcher Tradition auch immer sie gehören mögen.

\"Salsa\" unter der Klauenfraese

Demonstrationskuh an der BEA 2012

„Leute in der Stadt und in der Agglomeration wissen ja kaum mehr, was eine Kuh ist und woher die Milch kommt“, meint Kari Litter, Geschäftsführer des Berner Fleckviehzuchtverbandes. Aus Dankbarkeit für den jährlichen Besuch des Fleckviehs und des noch übriggebliebenen Getiers bei uns in der Stadt mache ich mich auf, um wieder einmal zu sehen, ‚woher die Milch kommt‘. Vor Halle 672 herrscht aufgeregtes Gedränge. Auf einem Schragen festgegurtet liegt reglos eine Kuh, an Hinter- und Vorderbeinen gefesselt. Bauch und Euter sind gegen die Zuschauer gerichtet. An ihr wird gerade „Fünf Schritte für fachgerechte Klauenpflege“ demonstriert. Die Klauen werden gefräst und geschmirgelt, während ein Helfer der Kuh ein Auge zuhält.
Die Reaktionen im Publikum sind unterschiedlich. Es wird wie wild geknipst. Einige Frauen finden Klauenpflege nötig, aber doch nicht so ausgestellt in der Öffentlichkeit. Die Männer sind mehrheitlich fasziniert von der Arbeit mit der Fräse. Eine Gleichstellungstante aus dem Publikum verlangt energisch: „Fantast auf den Schragen, Fantast auf den Schragen!“ Aber keiner tut einen Wank, um den Tausendkilostier „Fantast“ aus dem Stroh zu holen. „Ha, das wagt ihr jetzt nicht, den auf den Schragen zu binden, ihr Angsthasen!“ Endlich zieht die Tante, sie hat genau meine Stimme, Richtung „Grünes Zentrum“ ab und Punkt 3 der absolut schmerzlosen Behandlung der Kuhklauen kann ungestört in Angriff genommen werden.

In diesem Jahr habe ich keine Fotos gemacht, obwohl es härzige gegeben hätte.