Wildnis

Der „Midi libre“ Ist wieder einmal ausverkauft, und so habe ich nicht die leiseste Ahnung, was hinter den Schilf-, Joanniskraut-, Distel- und Daturastauden an der Route de l’E. so alles läuft. Keine Resultate von regionalen Boule- und Stierspielen, keine Berichte über töpfernde Seniorengruppen, bogenschiessende Ferienkolonien, renovierte Schulbibliotheken, neu entdeckte Tropfsteinhöhlen, nichts – rien de tout.
Ausser meinem Bremsenstich in den linken Unterarm, grossflächig gerötet und hässlich geschwollen. Das blassbraun getigerte, giftige Bremsenvieh erwischte mich weit ab von jedem Pferdestall am Ufer einer seichten Bucht, wo einem die Fische zwischen den Beinen durch flitzen. Ich glaubte die blutgierige Säugerin seit langem ausgestorben. Dabei ist sie mit ihren Artgenossinnen nur über den Gotthard geflogen. Ich war so fasziniert, wieder einmal eine Bremse zu sehen, dass mein Klatsch zu spät kam. Nun fühle ich mich gestraft für Abertausende verjagte Bremsen, die ich als Kind mit einem Haselzweig von schwitzeden, nervösen Ackergäulen fernhielt, wenn diese darauf warten mussten, dass der Bindbaum endlich über dem Fuder lag und sie vor dem ersten Blitzschlag die Einfahrt hinauf in die Bühne traben durften.
Trotz abendlicher Technomusik, Internet und Spielcasino hält einem „die Natur“ hier fest im Griff. Die miauenden, glucksenden Möven, die lauten Grillen, der Sand, der Wind, der Pferdegeruch, die Hitze und die Mücken, die ganze Heerscharen von Forschern beschäftigen. Ohne diese „Wächter“ des Naturschutzgebietes wäre es aus mit frei lebenden Pferden, Flamingos und Stieren. Die Mischwasserseen wären trocken gelegt zu Golfplätzen geworden und die privaten Luxusvillen versperrten den Zugang zum Meer.
Meine Bremse lebt noch und wird mit zahllosen Nachkommen noch einige Strandbars aus der Bucht fern halten.