Albert hört gerne die Verkehrsmeldungen. Heute, mit fast 89 Jahren, macht er seine Reisen nur noch im Kopf, sieht man von den vorsichtigen Fahrten ab, die er jeden Samstag vom Hof ins Dorf unternimmt. „Lukmanier gesperrt“ löst bei ihm ein verhaltenes Lachen aus. Ha, der Lukmanier …
Während der 2. Mobilmachung 1940 wurde der Bauernsohn mit einigen anderen Landbernern in den Kanton Tessin nach Malvaglia verlegt. Als sie am Ort ankamen, stand bereits eine Panzeratrappe auf dem Platz. Obenauf sass einer, der funkte wichtig in der Gegend herum, es war der Krebs vom Rütteli. Dieser hatte den Posten wahrscheinlich bekommen, weil er mit dem Traktor ähnlichen Motor der Atrappe umzugehen wusste.
Obwohl Albert und seine Kameraden eigentlich der Kavallerie angehörten, wurden ihnen bei der Ankunft nur alte Drahtesel zugeteilt. Dann hiess es:
„Ab, auf den Lukmanier, zur Beobachtung“.
Mein Vater kramt nun auch in seinen Erinnerungen, erzählt, dass das Aufgebot ins Militär für die Bauernsöhne ein willkommener Anlass war, heraus zu kommen und etwas Neues zu sehen. Im Gegensatz zu Albert wurde der junge Bauer „nur“ nach Burgdorf, wenig Kilometer von seinem Hof entfernt, zur sogenannten Spahi-Wache beordert. Was er da vom Krieg zu sehen bekam, war für den „Rösseler“ grauenhaft. Eisenbahnwagen, beladen mit Pferden, alle Tiere in schlechtem Zustand davon viele bereits tot, verhungert, mussten ausgeladen werden. Dazu gehörte ein Teil der 12000 polnischen Soldaten, die sich von Frankreich her über die Grenze in die Schweiz abgesetzt hatten und nun in Internierungslager unter gebracht werden mussten.
Ich merke, dass Vater mehr den verhungerten Pferden nach trauert, als den Polen, die auch ziemlich fertig gewesen sein mussten, so ohne Waffen in einem fremden Land.
Die Spahis, nein, die mussten sich keine Sorgen machen, die Burgdorferinnen kamen mit Kindskörben voller Chram und Schokolade zum Bahnhof, wollten die Fremden fast zu Tode füttern, waren völlig vernarrt in sie. Kaum ein polnischer Internierter, der auf der Pritsche übernachten musste. Der Nüchternste schaffte es ins beste Bett. Albert kann das bezeugen. Überall, wo diese Polen hin kamen, wurden die Frauen zu Närrinnen, hatten kaum mehr Augen für die Schweizer. Das machte diese böse und verzweifelt. Sie fragten die uralte Frage: „Was haben die, was wir nicht haben?“ Die Frauen hatten eine Antwort darauf. Albert weiss sie, will sie aber „ums Verroden“ nicht preis geben – nicht an diesem Tisch.
Es gibt ein Foto von meiner Mutter. Jung, lächelnd steht sie auf einer abgemähten Wiese, umringt von braungebrannten polnischen Internierten, die bei der Ernte helfen. Sie kann über diese Spahi-Weiberhelden bis heute nur Gutes sagen: freundlich, lustig, hilfsbereit und fleissig waren sie, sahen sofort, dass da schon einer war, der ein Auge auf die junge Frau geworfen hatte – mein Vater.

Wie der Begriff „Spahi“, den ich bis gestern noch nie gehört hatte, von Persien bis zu uns ins Bernerland gekommen ist, weiss ich nicht.
Wahrscheinlich mit den Handelsleuten über den Lukmanier … ?

Spahis von Paul Senn